Mittwoch, 1. Januar 2020

Schöne neue Arbeitswelt - Trial and Error im Job 2019

Vorbemerkung: Das wird ein bissl länger. Das (Arbeits-)Leben, wenn man danebentappt. Wohl dem, der sich ein Plätzchen gefunden hat, an dem es menschlich, kollegial und wertschätzend zugeht. 

1. Station: Immobranche

Ein Job, in den ich mich hineingerettet hatte, weil arbeitslos und kalte Füße meiner finanziellen Situation wegen. Von Beginn an wissend, dass ich dort wahrscheinlich nicht bleiben kann mit meiner sozial geprägten Einstellung. Ich hab mich quasi „zwischengeparkt“.

An meinen ersten Arbeitstagen große Verwunderung: Sobald der Chef im Büro ist, flüstern meine Kolleginnen nur noch. Gewitterstimmung. Bald begreife ich – sie haben Angst. Und sehe auch, warum. Er kennt weder Bitte noch Danke, geizt dafür nicht mit abschätzigen und sarkastischen Bemerkungen über deren Arbeit, qualifiziert sie permanent ab. Arbeitsanweisungen werden im Stile eines Befehls geäußert.

Eine Kollegin seit Jahren stets nur befristet angestellt und das auf Stundenbasis, obwohl regulär 30 h/Woche arbeitend. Heißt: Sie muss sich Stundenzettel unterschreiben lassen. Von mir vermuteter Grund: So muss er ihr eventuelle Kind-krank-Zeiten nicht bezahlen. (In meinem AV stand, für Erkrankung des Kindes gibt es keine Lohnfortzahlung. Was ich befremdlich fand, mich persönlich aber nicht tangierte.)  Den nächsten befristeten Vertrag für sie gab es jeweils erst Mitte Dezember, so dass sie sich im Herbst jedes Jahres bei der Agentur für Arbeit wieder als arbeitssuchend melden musste. Aufstockerin war sie ohnehin. 

Einer anderen Kollegin hatte er bereits im Vorstellungsgespräch mitgeteilt, eigentlich müsse er ihr gar nicht so viel zahlen, weil sie schließlich einen Mann zu Hause habe, der auch Geld verdient. Unfassbar. Beide waren keineswegs mit niederen Tätigkeiten betraut (falls es so etwas überhaupt gibt), sondern leisteten qualifizierte Arbeit, für die man Köpfchen braucht und ein Händchen für Menschen. Woher sie ihre Motivation nahmen, über Jahre hinweg dort zu arbeiten? Weil sie die Arbeit an sich eigentlich mochten. Und aus der Angst heraus, arbeitslos zu werden, im Hintergrund die Familie. Beide waren bereits in der Vergangenheit mit schwierigen Zeiten in punkto Job inklusive Mobbing (Bossing) konfrontiert.

Gleich an meinem ersten Arbeitstag erfuhr ich, dass der Chef wünscht, man möge ihm mittags sein Essen aufwärmen und servieren. Eindecken, Abräumen, Abwasch selbstredend inbegriffen. Erwartet wurde zudem, dass das Mittagessen gemeinsam eingenommen wird. Wogegen grundsätzlich nichts zu sagen wäre, so die Atmosphäre passt bzw. kein Zwang ausgeübt wird.  So aber blieb mir der Bissen im Halse stecken. Ich habe mich dem schnell verweigert. Ohne Konsequenzen. Habe ihm sachlich und bestimmt die Stirn geboten, Respekt eingefordert. In diesem Falle hat es funktioniert. Und immerhin waren wir nach einem erstaunlich offenen Gespräch, das möglich wurde, nachdem ich meine Kündigung auf den Tisch gelegt hatte, auf Augenhöhe. Hinter dem Tyrannen steckte ein Mensch, selbst zutiefst frustriert und leider nicht in der Lage, seine Umwelt für seine Frustration nicht büßen zu lassen.

Alles in allem dennoch verstörend. Eine solche Arbeitsatmosphäre war ich nicht ansatzweise gewohnt. Beide Frauen haben zwischenzeitlich wechseln können und ich hab mich darüber gefreut wie 'ne Königin.

2. Station: Öffentlicher Dienst

Diesen Job wollte ich, nach mehreren guten Vorgesprächen und angesichts guter Konditionen.

Die erste kühle Dusche erfuhr ich beim Unterschreiben des Arbeitsvertrages – die Höhe des Gehalts, das mir im Vorstellungsgespräch genannt worden war, sei laut Einstufungstabelle des Öffentlichen Dienstes nicht realisierbar.

Dann recht bald das böse Erwachen: Arbeiten mit minimaler Kommunikation und Information. Arbeitsaufgaben, die mir böhmische Dörfer waren, und die per E-Mail erteilt wurden - ein bis zwei Sätze ohne jegliche Hintergrundinfos. Infos, die mir oft auch meine Kollegin nicht geben konnte, so dass ich sie tatsächlich ergoogelt habe (Personen, Telefonnummern etc. pp.) Die Mails dazu immer wieder einmal vollkommen kryptisch, da das Smartphone-Diktiergerät unpräzise Gesprochenes nicht in sinnvolle Inhalte zu übersetzen vermag. Feedback gleich null, persönliche Abstimmung per Gespräch selten und nur auf meine Bitten hin. Generell ein Gebaren, das deutlich machte, man möge die Chefin nur im Ausnahmefall mit Rückfragen behelligen. Die oft genug auch dann, ob verbal oder per E-Mail, unbeantwortet blieben, selbst im Wiederholungsfall.

Dafür waren Abwesenheitsberichte zu schreiben, wenn sie außer Haus weilte, sprich: Was habe ich während ihrer Abwesenheit gearbeitet? Morgens Rapport zu erstatten: Was habe ich gestern getan, was gedenke ich heute zu tun?

Richtig schräg wurde es, als ich erfuhr, dass die wöchentlichen, nahtlos aufeinanderfolgenden 10-min-Termine für Gespräche mit den Teammitgliedern per (Eier-)Uhr überwacht werden. War das Zeitlimit erreicht, durfte ich meinen Kopf ins GF-Büro stecken und darauf hinweisen. Gern auch zwei- oder dreimal, falls es länger dauert. Wichtig: Der nächste 10-min-Gesprächsteilnehmer sollte jeweils schon vor der Tür angetreten sein. Weshalb ich während dieser Zeit permanent zwischen den Büros pendelte, um Gesprächsteilnehmer wahlweise auf einige Minuten später zu vertrösten oder mitzuteilen: Jetzt geht’s los!

Als absolute Unbotmäßigkeit wurde mir ausgelegt, eine freie Ablagefläche in Reichweite für Wasserkrug und Obstteller zu nutzen. Ohne vorher zu fragen! Die Fläche war und blieb frei, war aber reserviert für … ja, weiß ich nicht.

Und auch hier wieder: Die Chefin wünscht, nein fordert, bedient zu werden. Wasserflasche bereitstellen, Teekanne auf’s Stövchen, Tasse. Nachmittags alles retour, gern auch Obstreste. Als ich ihr nach einer Woche zu verstehen gab, dass ich dies als unschön empfinde und nicht als Teil meiner Arbeit, lautete die unmissverständliche Antwort: „Dann muss ich darüber nachdenken, ob wir zusammenpassen“.

Verschärfend hinzu kam die Hackordnung innerhalb des vorwiegend alteingesessenen Teams. Als GF-Assistentin und Neue saß ich auf der untersten Sprosse der Leiter. Bereits von Beginn an wurde unverhohlen darüber diskutiert (und auch offen adressiert), womit wir Assistentinnen uns wohl tagtäglich die Zeit vertreiben mögen.  Mir ist nie vorher so viel Ablehnung (auch der Zusammenarbeit) und Misstrauen begegnet. Dies nicht zuletzt, weil ich als Blitzableiter fungierte für das unerquickliche Verhältnis zwischen GF und Team. Anfangs habe ich versucht, mir durch Hilfsangebote Vertrauen zu erwerben, jedoch gleichzeitig angesichts unsachlicher Kommentaren deutliche Grenzen gesetzt. Später habe ich resigniert.

Im September wurde ich krank. Ich nehme an, Körper und Seele haben sich die Hand gereicht, gesagt: Schluss jetzt damit. War es mir doch morgens zunehmend schwerer gefallen, den Gang ins Büro anzutreten. Während meiner Krankschreibung flatterte mir Ende September die Kündigung in der Probezeit ins Haus. Schock, dahinter Erleichterung.

Fazit: Eine extrem demotivierende Arbeit (ich wusste bis zuletzt selten, was ich tue, d. h. zu welchem Zweck) und Arbeitsatmosphäre, geprägt von fehlender Information, Kommunikation (es sei denn: von oben nach unten) und Kollegialität.

3. Station: Onlinehandel 

Oh, was hat man mir Honig ums Maul geschmiert im Vorstellungsgespräch! Ich könne so vieles, stünde für sorgfältiges und strukturiertes Arbeiten. Jemand, auf den man sich verlassen könne. Man wolle recht lange mit mir zusammenarbeiten, sei ein pflegeleichtes GF-Team und die Atmosphäre im Haus top. Man wolle mich langsam einarbeiten, damit mich der Stress der Vorweihnachtszeit nicht gleich in voller Härte träfe. Im Neuen Jahr ginge es dann ohnehin entspannter zu.

Ich hatte echt Lust auf diesen Job. Wirklich. Die Vielfalt der Aufgaben, Kundenkontakt, ein lebendiges, junges Team. Neues lernen.

Und das tat ich dann auch. Eine komplexe, tolle Datenbank, Buchhaltung, Kundenbetreuung, Reklamationsbearbeitung etc. pp. Freundliche Kolleginnen. Ich war Feuer und Flamme und hab mich mit Begeisterung reingekniet.

Nach nur zwei Wochen wurde mir mitgeteilt: Du bist zu langsam. (Man hatte meine eMails an Kunden gezählt.) Zwar schätzen wir deine Sorgfalt sehr, aber so viel verdienen wir an einem Kunden nun doch nicht, als dass sich der zeitliche Aufwand lohnt. Mehr Tempo! Mut zum Fehler! Ich gab zu bedenken, dass ich gerade einmal zwei Wochen da wäre, Sortiment, Datenbank, Aufgaben komplett neu seien und ich die – tagesfüllende – Kundenbetreuung eigentlich nur unterstützen sollte. Als Assistentin eingestellt worden sei. Ja, das wäre richtig. Und nach dem Weihnachtsgeschäft verliefe auch alles wieder in ruhigeren Bahnen. Bis dahin aber: Gas geben!

Für den Kundenservice wurde eine Kollegin eingestellt; die Telefonate blieben jedoch bei mir. Gleichzeitig brach die Hölle los. Die nur kennt, wer mit der Kombination aus Einzelhandel und Weihnachtsgeschäft vertraut ist. Zwei Telefone in meinem Büro, die von morgens bis abends parallel zueinander klingelten. Hab interessehalber mal 60 Minuten lang mitgezählt: zwölf Telefonate (Reklamationen, Fragen zum Sortiment, wann kommt meine Lieferung?), sechs Mails, alle Vorgänge in der Datenbank zu dokumentieren. Beim stetigen Klingeln des Telefons Konten gecheckt, Sendungen nachverfolgt bzw. Nachforschungsaufträge ausgelöst, Händlerabrechnungen erstellt. Reklamationen ausgepackt und deren Weiterbearbeitung festgelegt. Nach Feierabend war ich erschöpft bis auf die Knochen. Hoffte aber auf Januar und gemäßigtere Arbeitstage. 

Bis mir immer klarer wurde – es geht hier nicht in erster Linie um schöne Accessoires oder Kundenzufriedenheit. Es geht um Geld. Möglichst viel, möglichst schnell. Ernüchterung machte sich breit und kurz vor Weihnachten war mir klar, dass ich so auf lange Zeit weder arbeiten kann noch möchte. Ich stehe für eingehaltene Zusagen, für Vorgänge, die begonnen und erledigt werden, für Qualität. Ich möchte Freundlichkeit ausstrahlen können, anstatt beim xten Anruf in Folge zu denken: Mensch, lasst mich einfach in Ruhe … Möchte arbeiten und dabei gesund bleiben können.

Am Morgen des 23. Dezember hieß es: „Wir müssen mal reden.“ Und schwupps – die Kündigung! „Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass du hier nicht am richtigen Platz bist. Du arbeitest gern sorgfältig und strukturiert, hier jedoch wird immer ein Stück weit Chaos herrschen.“ Ja, liebe Frau X und Herr Y. Recht habt Ihr. Aber schön doch, dass ich über die Irrsinnswochen vor Weihnachten mithelfen durfte, Euren Umsatz einzufahren.

Meine lieben Kolleginnen waren schockiert, als ich am Montag vor Heiligabend kaum gekommen, wieder gehen durfte. Ein exzellentes Instrument, den anderen vor Augen zu führen, wie schnell es gehen kann …

Was verbindet all diese Erfahrungen?

Ich habe überall immer wieder Angst gespürt. Unterschwellig oder ganz offen. Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, wenn man vor dem Vorgesetzten nicht die Hacken zusammenknallt und sagt: Jawoll.

Eine Art Führungskultur war nicht erkennbar, es sei denn: Ich, der Chef, sag Dir, wo’s langgeht und Du, die Mitarbeiterin, tust es, aber bitte unverzüglich.

Information, Kommunikation auf’s absolut Unerlässliche beschränkt. Fragen eher unerwünscht, weil die kostbare Zeit des Chefs beanspruchend. (Du bist zwar neu hier, aber kümmere Dich einfach…)

Augenhöhe? Was ist das?

Wertschätzung? Feedback? Nicht gemeckert ist genug gelobt. Anders gehandhabt natürlich bei negativem Feedback.

Eine meiner Ex-Kolleginnen sagte mir: Du hast Eier, deshalb wirst Du hier gut klarkommen. Nee. „Eier“ sind das Letzte, das ein Chef sich vom Mitarbeiter wünscht.

Und wofür war's gut?

Um meine Stehaufmännchen-Qualitäten zu trainieren? Um am eigenen Leib zu erfahren, was ich bisher nur aus Medienberichten wusste in punkto deutsche Arbeitswelt? Zu erkennen, wohin ich nicht gehöre? Wahrscheinlich etwas von alldem. 

Extrem irritierend war, zweimal in Vorstellungsgesprächen auf Personen hereingefallen zu sein, die kurze Zeit darauf die Maske fallen ließen. Das hab ich mir zuerst als böses Versagen und Naivität angerechnet. Andererseits: An überzeugenden Selbstverkäufern mangelt es in unserer Gesellschaft nirgends. Davor ist wahrscheinlich keiner gefeit.

Abgesang: Vielleicht glaubt der eine oder andere, ich hätte ein wenig übertrieben in meinen Erzählungen, Dinge überspitzt dargestellt, um mir Luft zu verschaffen. Nun - ich wünschte, dem wäre so. Wie Menschen mit Menschen umgehen – die verbleibende Zeit meines Lebens wird wohl nicht ausreichen, das zu verstehen.

Die Hamburger Deichkinder trällerten dazu bereits 2014 ein Liedchen, das heute aktueller denn je sein dürfte:



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