Freitag, 24. Januar 2020

Hopp oder Top – Gesellschaftsspiel mit Verlängerungen

Und wieder surft sie durchs Netz auf der Suche nach ansprechenden Offerten. Von einer Plattform zur nächsten –  wie Pilze sind sie über die Jahre aus dem Boden geschossen. Das eine oder andere Profil weckt ihr Interesse; sie speichert es ab. Denkt eingehend darüber nach, ob so ihre Zukunft aussehen könnte. Vergleicht ihre Vorstellungen mit dem Angebotenen, ihre Vorzüge mit dem Gewünschten.



Ok, könnte passen - sie hat ihre Wahl getroffen. Nun das Schwerste überhaupt: die richtigen Worte finden. Und wieder sitzt sie vorm Rechner und drechselt an ihrer Eigenwerbung. Sucht nach originellen Formulierungen jenseits von Standard und Langeweile, um zu überzeugen. Wer sie ist, was sie kann (oder noch lernen wird) - jedes Schreiben eine Marketingmaßnahme in eigener Sache. Sie trägt ihre Haut zu Markte, wuchert mit ihren Pfunden. Türkischer Basar. Zweieinhalb Stunden, zwei Tassen Kaffee und vier Zigaretten später ist es vollbracht: Der Text steht. Gut gemacht!

Mit etwas Glück irgendwann ein Date. Sie bereitet sich akribisch vor, sammelt alle Infos, die sie kriegen kann, führt fiktive Gespräche im Kopf, fasst die Stationen der Vergangenheit gedanklich zusammen. Was soll sie anziehen? Ist dieses zu sexy, jenes zu bunt? Gleichviel. Sie ist, wer sie ist, heißt: Es wird passen – oder eben nicht. Zwar überschlagen sich die einschlägigen Ratgeber mit Verhaltensempfehlungen, definieren Go's und No-Go's, aber wie lange ließe sich solch ein Schauspiel durchhalten? Eineinhalb Stunden vielleicht, Wochen und Monate schwerlich. Also besser auf die verinnerlichten Umgangsformen, Authentizität und gesunden Menschenverstand setzen.

In der Begegnung sitzen ihr Menschen verschiedenster Couleur gegenüber. Von professionell-freundlich bis fühlbar sympathisch und zugewandt. Selten einzeln, meist 2 : 1. Und obwohl sie jedes Mal unmittelbar vorher denkt: Oh Mann, nicht schon wieder - ihre Motivation, sich zu verkaufen, unterhalb der Teppichkante -, läuft sie auch diesmal wieder zur Form ihres Lebens auf. Berichtet ihre Vergangenheit, Vorlieben, Abneigungen, Fähigkeiten, Talente, plaudert, lacht, beantwortet Fragen, fragt selbst nach. Ist sie selbst. Wer auch sonst? Am Ende stets die Kohle-Parole, aber auch darauf ist sie vorbereitet und agiert mittlerweile weit selbstbewusster als noch vor Jahren. Und nun? Wie geht es weiter? „Wir melden uns bei Ihnen.“ 

Anschließend zuerst oft Euphorie. Sie klopft sich auf die Schulter: Gut gelaufen. Besser geht nicht. Wenig später dann, wenn die über Stunden gehaltene Spannung und Konzentration auf ihren entscheidenden "Auftritt" sich langsam lösen, Erschöpfung und das Gefühl vollständiger innerer Leere. Wie bei einer Schauspielerin, die nach der Vorstellung die Bühne verlässt - einer Vorstellung, auf die sie sich mit ganzem Einsatz vorbereitet hat. Und spätestens einen Tag danach weiß sie wieder: Sei ihre Motivation auch noch so groß und wäre es ihr auch noch so gut gelungen, sie zu transportieren - das heißt gar nichts. Nichts ist entschieden. Da stehen noch andere in der Schlange, besser vielleicht, passender vielleicht. Wer kennt schon die Kriterien, nach denen entschieden wird? 

Also wartet sie. Manchmal auch mehrere Kisten am Laufen wissend und dann stets die Frage, wie damit umgehen. Wartet sie auf das Ja ihres Favoriten? Oder sagt dem ersten zu, der sie an Bord haben will? Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach? Oder versucht sie es mit Vertrösten? Alles heikel und mit Bauchgrummeln verbunden. Welche Strategie auch immer sie fährt, das Risiko trägt ohnehin zu 100% sie selbst. Auch war Pokern noch nie ihr Ding.

Hopp oder top stand auch heute wieder auf der Agenda. Passiert - ist nichts. Nicht unbedingt neu, aber jedes Mal aufs Neue ärgerlich und nervenaufreibend. Offenbar hat sie noch immer nicht gelernt, dass Termine, genannt von Personalabteilungen, bestenfalls als Richtwert gelten können. Findet stattdessen: schlechter Stil. Findet, Zuverlässigkeit sollte ein Nehmen und Geben sein. Ist das altmodisch?

Ihr Fazit nach unzähligen Bewerbungen und Bewerbungsrunden: Die Brautschau anno Tobak kann komplexer nicht gewesen sein als die erfolgreiche Bewerbung um einen passenden Job heute. Nicht mehr hält man bei Schwiegereltern in spe um die Hand der/des Erwählten an, präsentiert seine Aussteuer und sich selbst von der besten Seite, dafür beim Arbeitgeber „um die Hand der Firma“. Gern mehrfach, weil dem ersten Gespräch meist ein weiteres in anderer oder erweiterter Besetzung folgt. Plus nochmaliger Entscheidungsfrist. Drum prüfe, wer sich ewig bindet? Bei regulären 6 Monaten Probezeit, befristeten Arbeitsverträgen und weiteren Hintertüren, die der Gesetzgeber für Arbeitgeber offen hält, hat Ewigkeit im Bedarfsfall eine kurze Halbwertszeit. 

Fest steht: Die Latte liegt hoch. Und sollte es wen wundern, dass so manch einer über all dem Hoffen und Warten, dem mehrfach erlebten Hopp oder Top und dessen Verlängerungen, die an die Substanz gehen, irgendwann resigniert: Sie wundert es nicht.

PS ohne Sarkasmus: Ja, sie weiß, dass Personalabteilungen mehrheitlich Prozesse einhalten müssen. Und ja, sie weiß auch, dass sie nur eine von vielen ist, die draußen vor der Tür stehen. Dennoch wünscht sie sich, nein: erwartet sie, dass Terminzusagen eingehalten werden. So wie es zweifellos von ihr erwartet wird. Und sollte sich doch einmal etwas verzögern, kostet eine Zwischeninfo lediglich die Zeit, die es braucht, einen Satz zu formulieren und auf den Antwort-Button im E-Mail-Postfach zu drücken. Fairness und Zuverlässigkeit sollten keine Einbahnstraße sein. 

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