Ein Facebook-Post mit der Kernaussage „Liebe deinen Nächsten
wie dich selbst“ hat mich darüber nachdenken lassen, welche Bedeutung in
unserer Welt der Liebe zukommt und ganz konkret: wie ich dazu stehe. Davon abgesehen,
dass ich auch mich selbst nicht immer in allem Sinn und Unsinn liebe und annehme - bin ich imstande, jedem
anderen Menschen mit universeller Liebe zu begegnen? Vielleicht auch, weil ich
glaube, solch allumfassende Liebe könnte unsere Welt heilen oder doch: besser
machen? (Zweifellos könnte sie es. Wenn jede und jeder auf diesem Planeten diesen sehr bewussten geistigen Zustand erreicht hätte.)
Ich gestehe ein, ich selbst bin noch nicht soweit. Fühle mich nicht imstande, jeden zu lieben und will es wohl auch nicht. Genauso wenig wie ich, sagen wir - die andere Wange hinhalten möchte nach einem Schlag, tatsächlich, verbal oder sonstwie empfangen.
Liebe wird heute so inflationär verwendet, dass sie zu einem
aus meiner Sicht außerordentlich unscharfen Begriff geworden ist. Wir lieben neben unserem Partner,
unseren Kindern, unserer Familie, den Haustieren (ja, dazu steh ich) die Heimatstadt
oder -region, eine Fußballmannschaft, eine Biersorte, eine Band, einen
Schauspieler – die Aufzählung kann jeder für sich vervollständigen. Laut
Werbung ist Backen (oder wahlweise: Kochen) Liebe, Autos lieb(t)en Shell, eine
amerikanische Fastfoodfirma wirbt mit „… - ich liebe es“. Auch wurden im Namen
fehlgeleiteter Liebe, z. B. zu einer Gottheit, immer wieder Verbrechen begangen.
Ein Begriff also, dehnbar wie Kaugummi, allzu oft missbraucht und inzwischen vollständig trivialisiert durch
die Werbung.
Vor einiger Zeit las ich das Buch von Kurt Vonnegut „Slapstick
oder nie wieder einsam“. Eine recht skurrile utopische Handlung, der es anfangs
schwer war zu folgen, und mittendrin immer wieder kluge Gedanken. Einer davon:
“I wish that people who are conventionally supposed to love
each other would say to each other, when they fight, 'Please — a little less
love, and a little more common decency'.”
(Ich wünschte, Menschen, die einander vermeintlich lieben, würden
zueinander sagen, wenn sie sich streiten: „Ein bisschen weniger Liebe bitte und
dafür ein bisschen mehr gewöhnlicher Anstand.“ )
Darüber habe ich lange nachgedacht und fand es bestechend wahr. Anstand heißt für mich, dem anderen mit Respekt, Höflichkeit, Fairness zu begegnen in Rede und Handlung. Das nicht nur beschränkt auf eine
Paarbeziehung.
Freiherr von Knigge schrieb einst in seinem Buch „Über den Umgang
mit Menschen“ - dem Ratgeber, den wir heute nur als "Knigge" - kennen: “Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften
einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein
sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir
allen Arten von Menschen schuldig sind. Das heißt ein System, dessen
Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.”
Wenn wir alle uns darauf einigen könnten, menschlichen Anstand als kleinsten gemeinsamen
Nenner für jedwedes Miteinander zu betrachten: Wäre das nicht ein guter Anfang?
PS. Beim Schreiben-Lesen-Überarbeiten habe ich mir grad vorgenommen, auch bei mir selbst noch viel stärker darauf zu achten, wie ich anderen begegne, mich ihnen gegenüber äußere.
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