Meine Geschichte
taugt vielleicht auch als Denkanstoß für jene, die damit liebäugeln, einen Job
anzutreten, der sie inhaltlich zu 100% begeistert, seine Frau/seinen Mann
jedoch nur bedingt ernährt. Ich weiß, dass genau das auf vielen Webseiten
propagiert wird: Folge Deiner Passion, Deinem Traum, Deiner Vision.
Grundsätzlich absolut richtig, nur sollte man die „Risiken und Nebenwirkungen“
kennen.
Zu mir: Meinem
Lebensmotto „Es geht da lang, wo die Freude ist“ folgend, hatte ich mich 2016
von einem gut bezahlten, krisenfesten Job und Lieblingskollegen verabschiedet,
um endlich mit dem Geld zu verdienen, was ich am besten kann, am meisten mag:
mit Menschen kommunizieren, organisieren, kreativ sein, schreiben &
lektorieren, täglich Vielfalt erleben, Neues lernen. Wie erfüllend. Feuer und
Flamme war ich, selten vorher bin ich morgens mit solcher Vorfreude ins Büro
geradelt und nachmittags mit solch tiefer Befriedigung zurück nach Hause. Der
Haken daran: Das monatliche Salär reichte gerade aus, um Fixkosten +
Lebensmittel abzudecken.
Ich strich alle
Anschaffungen, kündigte alle Verträge, die nicht zwingend notwendig waren,
minimierte meine Lebenshaltungskosten auf das absolut Unverzichtbare. Und war
stolz darauf. Zu lernen, mit wie wenig Geld ich auskomme, was alles ich nicht
zu meinem Glück brauche. War ich doch schon immer ein Freund von Minimalismus,
„leichtem Gepäck“. Verfechterin der Sichtweise „Was Du besitzt, besitzt Dich.“
Die ich nach wie vor unterschreiben würde. Wenn auch inzwischen unter Vorbehalt.
Über Monate lief
alles gut, auch, weil ich zusätzlich einen Nebenjob angenommen hatte. Er brach
weg, aber – kein Grund zur Panik. Schließlich war da noch einiges auf der hohen
Kante und ich hatte mich inzwischen auf bescheidenem Niveau
zufriedenstellend eingerichtet.
Bis irgendwann
ungeplante Kosten aufliefen. Unfall – nicht selbstverschuldet zwar, aber die
Versicherungen lieben es, miteinander Deals auszuhandeln, um die Kosten
zwischen den Beteiligten zu splitten. Also war ich mit im Boot. Die Folge:
Reparaturkosten und Einstufung in eine höhere Schadensklasse. Dann wurde mein
Katerchen chronisch krank. Wer Tiere hat, kennt die Zahlen, die beim Tierarzt
aufgerufen werden. Mein Erspartes schmolz wie Butter in der Sonne.
Ein Jahr nach
Antritt meines Traumjobs war ich auf dem Boden der Realität angekommen und zum
ersten Mal meldete sich Existenzangst. Verbunden mit einem starken Gefühl der
Demütigung und – Scham. Gerade auch gegenüber meinem mehrheitlich gut bis sehr
gut situierten sozialen Umfeld. Meine Situation war mir peinlich; ich fühlte
mich abgewertet – in meinen Augen. Deklassiert. Eine interessante
Erfahrung insofern, als ich selbst Menschen nie nach ihrem
finanziellen/sozialen Status, der Höhe ihrer Einkünfte beurteilen würde. Bei
mir selbst tat ich es plötzlich.
Wie hat sich
mein Leben seither verändert? Wie habe ich mich verändert? In alphabetischer
Reihenfolge, also kein Ranking nach Wichtigkeit:
Besuche &
Feiertage: Einladungen sind gut zu überlegen – kann ich mir die zusätzlichen
Ausgaben für Speis & Trank leisten? Ich erinnere mich an Weihnachten 2018
und wie unangenehm es war, meine Familie als Gastgeberin um einen Obolus für’s
Essen zu bitten. Aber im Zweifelsfall ist mir ein Abend mit Familie oder Freunden soviel wert, dass ich lieber auf anderes verzichte.
Friseur:
Glücklicherweise hab ich eine pflegeleichte Frisur. 1 – 2x jährlich reicht,
davon abgesehen tun es DM und Rossmann. Inzwischen – yippieh! – habe ich ein
Tutorial gefunden: Wie schneidet man Haare. Klappt super.
Geschenke:
Basteln, Kreatives gestalten. Ist sowieso individueller. Geht allerdings oft
nicht ganz ohne Kosten ab. Finanzielle Großzügigkeit (oh, wie habe ich es
geliebt, zu geben!) war gestern.
Katzen: Mein
Luxus. Luxus? Nein. Sie sind meine mentalen Bodyguards. Unverzichtbare Tröster,
fast möchte ich sagen: Retter, mehr als nur einmal. Also versuche ich,
möglichst oft hochwertiges Futter anzubieten, damit sie mir lange & gesund
erhalten bleiben. Sonst drohen Tierarztkosten.
Klamotten &
Schuhe: Ich zehre vom Kleiderschrank der Vergangenheit. Kaputtgehen sollte
besser nichts bzw. es wird dann halt ausgebessert. Wie man es früher tat.
Secondhand & eBay sind Trumpf. War glücklicherweise schon immer
ein "second hand girl", weil ich’s mit Trends nicht so habe und Qualität bzw. Individualität mag.
Kultur –
Konzerte, Theater & Co.: Auf ein Minimum reduziert. Aua. Das ist etwas, was
wehtut. Manchmal gibt’s Kultur umsonst, z. B. den Palais-Sommer und fast
umsonst bis auf eine bezahlbare Jahresgebühr meine geschätzte Stadtteil-Bibo.
Oder gute Filme auf YouTube. Dafür bin ich dankbar.
Lebensmitteleinkäufe:
Die Verbraucherzentrale mit ihrem Angebot an regionalen bzw. jedenfalls
Öko-Lebensmitteln (die tatsächlich auch anders schmecken) ist Geschichte.
Einkäufe im Konsum gönne ich mir ab und an quasi als Luxus, weil ich die
Einkaufskultur - klein, aber fein - schätze. Nun also Netto oder Lidl
und nur, was ich wirklich brauche. Was für’n Glück – das ist nicht viel.
Bin kein Gourmet und wenn mein Kühlschrank ausschaut wie der eines Studenten –
na und? Was nicht da ist, wird schon mal nicht zu Hüftspeck.
Reparaturen:
Sind die wirklich notwendig? Ein Wasserhahn ist locker, tut aber der Funktion
keinen Abbruch. Beim Auto, das ohnehin fast ausschließlich in der Garage steht,
verweigert der Tacho den Dienst. Fahr ich halt vorübergehend mit Navi oder nach
Drehzahlmesser. Die Handbremse an meinem betagten, aber heiß geliebten
Neustadtradl gibt den Geist auf? Ok, da ist ja noch der Rücktritt. Die
Aufzählung ließe sich fortsetzen. Manchmal nervig, aber glücklicherweise hatte
ich mit Provisorien noch nie ein Problem. Alte „DDR-Schule“. Man muss sich zu
helfen wissen.
Restaurant:
Selten geworden. Wenn aber doch, ist's ein Fest - auch schön.
Spenden: Von
allen Einschränkungen trifft mich diese fast am stärksten. Tierheim,
Obdachlose, DROBS-Verkäufer, Straßenmusiker – ich habe gern und
selbstverständlich gegeben. Weil ich schon immer über ausreichend Phantasie
verfügt habe, um zu ahnen, wie es ist, von der Hand in den Mund zu leben. Und
den Spruch „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“ angesichts einer
Gesellschaft, die sich immer stärker in Vermögende und Arme splittet, überheblich,
ja menschenverachtend, finde.
Sport:
Fitnesscenter bis auf weiteres passé. Als Ausgleich wird jede Strecke per Rad
oder zu Fuß zurückgelegt. Joggen ist auch kostenlos, yeah!
Urlaub/Reisen:
Selten bezahlbar. Aber tatsächlich lasse ich meine Katzen auch nicht gern lange allein.
Wohnen: In der
kalten Jahreszeit überwache ich die die Einstellung der Heizungen mit
Argusaugen. Den Wasserverbrauch generell immer. Oder die Beleuchtung in meinen
vier Wänden. Nur keine zusätzlichen Kosten generieren. In der Mitte des Jahres
melden sich regelmäßig Bauchschmerzen beim Gedanken daran, wie die
Nebenkostenabrechnung des Vermieters wohl ausfallen mag. (Großes Glück – meine
Wohnungsgenossenschaft rechnet sehr fair ab.)
Was habe ich während dieser Zeit an meinem Verhalten, meiner Denke beobachtet? Hat sich da was verändert?
Interessanter Weise habe ich einen analytischen Blick dafür entwickelt, wie
Menschen sich kleiden. Tragen sie hochwertige Kleidung und Accessoires?
Markenbekleidung? Bin – was Wunder - noch empfindlicher geworden für die
Imbalance innerhalb unserer Gesellschaft. Den Reichtum auf der einen, die
Bedürftigkeit auf der anderen Seite. Die Menschen, die beispielsweise in den
Cafés auf der Dresdner Hauptstraße ihren Cappu genießen, für den
DROBS-Verkäufer (DROBS: sehr gut gemachte Dresdner Straßenzeitung) jedoch
keinen müden Euro übrig haben, ihn nonchalant übersehen. Die Rentner, die
ebenda die Papierkörbe nach Flaschen absuchen.
Ab und an ein
vollkommen neues und schuldbehaftetes Gefühl für mich: Neid. Nicht im Sinne,
anderen etwas zu missgönnen, sondern: Ach, das möcht‘ ich auch mal wieder. Eher
Traurigkeit als Neid. Und jedenfalls mit Scham verbunden.
Unterlegenheitsgefühle. Ab und an (nicht oft) fühl ich mich schon auch mal als Loser. Obwohl ich in solchen unsäglichen Kategorien noch nie gedacht habe. Sich selbst gegenüber ist man immer am unerbittlichsten.
Unterlegenheitsgefühle. Ab und an (nicht oft) fühl ich mich schon auch mal als Loser. Obwohl ich in solchen unsäglichen Kategorien noch nie gedacht habe. Sich selbst gegenüber ist man immer am unerbittlichsten.
Diverse Ängste,
die immer einmal wieder hochploppen: Hoffentlich bleiben die Katzen gesund,
fällt kein Haushaltgerät aus – oder mir ein Zahn. Und so.
Wie steht's um positive Veränderungen?
Ja. Die gibt es.
Stolz darauf, auf weit mehr, als ich je gedacht hatte, verzichten zu können
ohne gefühlten Abbruch der Lebensqualität. Nach „fetten Jahren“ nicht von
einem, wie ich heute weiß: verdammt hohen Lebensniveau abhängig geworden zu
sein. An den allermeisten Dingen vorbeigehen zu können, ohne sie haben zu
müssen. Ohnehin war ich nie der Typ Shopping-Queen. Reicht es dann doch einmal für ein Extra, ein neues Duftöl vielleicht oder Kosmetik, freue ich mich umso mehr. Ist nicht mehr alles selbstverständlich, genießt man solche "Leckerlis" umso stärker. Das mag ich.
Und ich habe
gelernt, Dinge anzunehmen, ohne mich sofort dafür revanchieren zu müssen.
Jedenfalls manchmal. Es berührt mich sehr, dass da Menschen sind, für die
früher ich die Gebende, Großzügige war, die mir jetzt Gutes tun wollen,
finanziell und überhaupt Hilfe anbieten. Das war wirklich zu lernen, war ich
doch früher stets die Unabhängige, die immer alles gewuppt bekommt. Die keine
Hilfe braucht, immer auf die Füße fällt. Interessanter Weise fällt es mir
leichter, von Menschen etwas anzunehmen, die wie ich weiß, selbst harte Zeiten
kennen.
Was ich habe, schätze ich umso mehr. Hege und pflege es. Sehr befriedigend.
Was ich habe, schätze ich umso mehr. Hege und pflege es. Sehr befriedigend.
Ein weiterer
Lerneffekt: Den launigen Spruch „Geld ist bunt bedrucktes Papier“ vertritt man
solange mit Inbrunst, solange es locker reicht. Mir war Geld nie wichtig. Heute
weiß ich: Weil es immer reichte, auch zum Geben. Ist es das, was mich das Leben
mit der Erfahrung der letzten zwei Jahre lehren wollte? Dass man mit dieser
Einstellung in einer materiell orientierten Welt nicht ungestraft davonkommt?
Es heißt ja, dass ein Thema, das Du ignorierst, in Deinem Leben so oft wieder
vorbeischaut, bis Du Dich darum kümmerst.
Ich habe inzwischen gelernt, dass es immer irgendwie weitergeht. Nicht unbedingt ein Grund, die Situation zu feiern, aber – sich zwischendurch zu entspannen. Immerhin hab ich ein Dach über’m Kopf, hungere nicht, bin gesund und da sind auch keine Kinder, die ich noch zu versorgen hätte. So what.
Eine Frage, die
mir seit 2017 immer mal wieder im Kopf herumgespukt hat: Wie lange eigentlich
dauert es, sich an eine finanziell anhaltend heikle Situation zu gewöhnen? Bis
Geld nicht mehr der erste Gedanke morgens und der letzte abends ist? Die Angst,
wie es weitergeht, nicht mehr mein Leben beherrscht?
Antwort: Lange. Bis man kapiert - siehe oben - es geht weiter. Es finden sich Lösungen. Es findet sich Hilfe.
Antwort: Lange. Bis man kapiert - siehe oben - es geht weiter. Es finden sich Lösungen. Es findet sich Hilfe.
Das Fazit aus
allem – und damit der Bogen geschlagen zur Überschrift: Ich werde meinem
Bauchgefühl wahrscheinlich kein zweites Mal folgen a la "Das wird
schon" ohne sorgfältige und in die Zukunft gedachte Erwägung der Risiken.
Weshalb ich nach Prüfung des Zahlenwerks für meinen Businessplan 2020 vorerst
Abstand von der Idee genommen habe, als Lektorin und virtuelle Assistentin
selbstständig zu arbeiten.
Dennoch rangieren Zeit für mich und all meine Interessen und eine Arbeit, in der ich mich wiederfinde, auf meiner persönlichen Prioritätenliste unverändert vor der Höhe des Einkommens.
Dennoch rangieren Zeit für mich und all meine Interessen und eine Arbeit, in der ich mich wiederfinde, auf meiner persönlichen Prioritätenliste unverändert vor der Höhe des Einkommens.
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