Freitag, 7. Februar 2020

Vorsicht, Tristesse!


Weit vor’m Morgengrauen wache ich auf durch einen Traum. Sitze in einem Großraumbüro am Schreibtisch und von allen Seiten hagelt es Kritik von meinen Kolleginnen: Du bist immer so ernst, so nachdenklich. Ich beginne mich zu rechtfertigen, versuche, ihnen die vergangenen Jahre zu schildern und was sie in mir ausgelöst haben. Doch augenblicklich wenden sich alle wieder ihrer Arbeit zu. Interesse gleich Null. Plötzlich kommt ein Mann mit einem kleinen Jungen an der Hand herein - ein Kollege (der merkwürdiger Weise aussieht wie Tom Pauls). Er steht an meinem Schreibtisch, bittet mich um etwas. Und meint: Du bist aber heute traurig. Und sofort möchte ich meinen Kolleginnen zurufen: Habt Ihr das gehört? Er hat gesagt, ich sei heute traurig. Das heißt doch, dass ich es längst nicht immer bin! Darüber wache ich auf. Fühl mich nachdenklich und schwer und jedenfalls nicht bereit für diesen Tag, der eine wichtige Entscheidung bringen soll.


Da es noch verdammt früh ist, hau ich mich noch mal in die Federn für einen Nachschlag hoffentlich erholsamen Schlafes, um das innere Grau abzuschütteln. Vielleicht sogar entführt mich einer meiner bunten Märchenträume ins Wunderland? Irgendwann döse ich wieder weg, doch nur, um mich in der Fortsetzung meines Traums wiederzufinden: Großraumbüro und ich mittendrin. Ringsum das Stimmengewirr meiner Kolleginnen, die diesmal allesamt aussehen wie Mannequins – barbyschlank, superschön, super gestylt. Und wieder fallen unfreundliche Worte. Zu allem Überfluss steht plötzlich die Chefin neben meinem Schreibtisch (tatsächlich jene aus 2019, mit der ich keinen guten Faden gesponnen habe) – ich soll einen Anruf tätigen. Nach drei Anläufen wähle ich die richtige Nummer. Der Anrufer beschimpft mich, allerdings so leise und nuschelnd, dass ich beim besten Willen nicht kapiere, was ihn aufregt. Na toll. Ich lege auf und denke noch über’s Wie-weiter nach, als sich drei Kolleginnen vor mir postieren: Du bist ständig viel zu ernst. Krieg dich mal wieder ein! Sie witzeln über mich und lassen nicht ab. Ich versuche mich zu wehren, aber die richtigen Worte wollen mir nicht einfallen. Schließlich wache ich auf. Tatsächlich mit Tränen in den Augen. Was für’n Shit – hat doch der zweite Traum tatsächlich noch eins draufgesetzt!

Und nun sitze ich da und schreibe, um Abstand und einen aufgeräumten Kopf zu gewinnen. Nein, solche Situationen sind mir bisher glücklicherweise nie begegnet. Offensichtliches Mobbing kenne ich nicht, wüsste mich dessen auch zu erwehren. Aber das läuft wohl ohnehin meist perfider ab, mehr im Hintergrund, wenig direkte Angriffsfläche bietend. Eher so Psycho-Spielchen, bis das Objekt innerlich in die Knie geht, ehe sich der Körper anschließt.

Die Ursache für meinen Alptraum mit Fortsetzung liegen anderswo: In den vergangenen Monaten habe ich wiederholt von Menschen, die mir nahestehen, gehört, was ich selbst empfand: Du hast deine Ausstrahlung verloren. Deinen Sonnenschein. Deine Farben. Du warst doch immer so bunt. Du bist nicht mehr jene, die wir gekannt haben. Du machst einen traurigen Eindruck. (Letzteres geäußert inmitten einer fröhlichen Runde, in der ich mich selbst alles andere als traurig erlebte, aber der Absender meinte es wohl eher grundsätzlich.)

Ja. All das, ihr lieben Menschen, stimmt wohl. Ich bin ernster geworden, nachdenklicher. Der himmelhohe Überschwang, Übermut, das mutige Voranstürmen, dem Leben die Hörner zeigend - und Mann, was war ich gut darin! - zeigen sich heute seltener. Fallen leiser aus. Weil es mir nicht immer gelungen ist, Niederlagen und den Verlust von Träumen (oder Illusionen?) adäquat zu kompensieren. Nicht immer hatte ich nach der Besinnungspause sofort etwas bei der Hand, das es mir ermöglicht hätte, zu rufen: Was soll’s! Weg mit Schaden! Fange ich eben wieder von vorn an! Nicht alles ist sofort ersetzbar oder reparierbar, manches auch gar nicht. Ich backe heute kleinere Brötchen. Verdammt schade, ja. Auch um den unbändigen Optimismus, der mir stets eigen war. Damit hadere ich sehr.

Menschliche Naturelle, die ich als gedämpft empfinde oder deren Kern überwiegend aus Vernunft, Ernsthaftigkeit und Schwere zu bestehen scheint, sind auch für mich ambivalent. Ich darf mich hier an der eigenen Nase zupfen, verbringe doch auch ich gern Zeit mit optimistischen, vor Lebensfreude sprühenden Menschen. Diesen zuversichtlichen Kämpfern, denen am Ende alles gelingt, die auf jedes Bein, das ihnen das Leben stellt, eine sportliche Antwort wissen. Ihr heller Kern, ihr inneres Feuer tanken mich auf. Lassen mich selbst Schwung holen, um der nächsten Herausforderung zu begegnen.

Ihre Anziehungskraft ist stark. Im Gegensatz zu der meinen in Lebensphasen, in denen wenig klar geht, das Immer-wieder-Aufstehen die einzige Option ist. Und da Menschen keine Magneten sind – negativ zieht positiv an und vice versa - wächst der Abstand beiderseits. Sie halten Abstand mangels Anziehungskraft und ich tu's, um wenigstens einen Rest derselben zu bewahren. Und meinen Stolz.

Welche Reflexionen dieser Traum mit Fortsetzung doch zeitigt. Fragen auch. Warum ertragen wir eine ernsthafte Gemütsverfassung, Traurigkeit, Nachdenklichkeit oft nur bis zu einem gewissen Grad? Warum sind sie so unerwünscht? Halten wir sie für Schwäche, für einen Fehler, der überwunden werden muss? Warum verdirbt uns der fette Klecks schwarzer Farbe auf unserem oder dem Bild anderer manchmal die Stimmung? Haben wir die Winner-Loser-Prägungen schon so verinnerlicht und wer möchte schon zu letzteren gehören? „Winners never quit and quitters never win“ wurde mir einst mit auf den Weg gegeben. Ich vermute jedoch, selbst Gewinner kennen Zeiten, in denen sie den Bettel einfach hinschmeißen möchten, weil sie auch beim xten Anlauf die Latte reißen.

Ein gut nachvollziehbarer Grund, traurige Schwingungen & Co auf Abstand zu halten, dürfte sein, dass das jeweils eigene Leben komplex genug ist. Fremde Wolken dürfen sich gern anderswo ausregnen. Verstehe ich.

Wo auch immer die Gründe liegen mögen - ich bedanke mich bei jedem, der mir in Zeiten, da die schwarzen Kleckse das Bunt zu überdecken drohten, sein Ohr geliehen hat und eine Schulter zum Anlehnen. Ich hoffe, ich habe euch nicht über Gebühr beansprucht und werde auch für euch da sein, wenn ihr mich braucht. Doch mögt ihr und ich (sehr!) es auch bedauern: So gewiss, wie man nicht zweimal im gleichen Fluss badet, so gewiss ist es, dass ich nie wieder genau dieselbe sein werde, die ich vor Jahren war. Gibt ja auch Pastellfarben - könnt Ihr sie sehen? Nein, ich bin noch längst nicht am Ende angekommen, Leute. Und hey, bald wird’s Frühling!







2 Kommentare:

  1. Ja, es gibt Menschen wie die Sonne und wir möchten gern solche in der Nähe haben. Ihre Vorzüge liegen an der Hand. Aber solche, die ernsthaft sind haben auch Ihre Stärke. Nun, man muss diese erkennen. Nur durch Vielfalt ist die Welt bunt.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das sehe ich ebenso. Jeder hat sein Naturell, angeboren, erworben, wie auch immer. Zudem glaube ich, dass jeder Mensch sich im Laufe des Lebens zumindest in Nuancen verändert. Und sonnig, sofern nicht oberflächlich, und ernsthaft sind noch nicht einmal Widersprüche.

      Löschen