Mittwoch, 19. Februar 2020

Wasser und Wein


Die Rockmusik der DDR, besonders die Rockballaden, war reich an lyrischen Texten mit tiefem Sinn – vertonte Gedichte eigentlich. Zu meinen Lieblingsliedern gehört noch heute „Wasser und Wein“ von Lift.



"Jeder Tag ist offen wie ein Krug
und am Morgen leer, dass man ihn füllt.
Hat man ihn am Abend voll genug,
wird der Durst der Träume gestillt.

Einer schenkt Wasser, einer schenkt Wein
tagtäglich sich ein.

Jeder Tag hat Fragen, die woll'n Antwort,
jeden Morgen neu, wenn man sich regt.
Und die Antwort sei, dass man vor'm Spiegel
abends nicht die Augen niederschlägt.

Einer schenkt Wasser, einer schenkt Wein
tagtäglich sich ein."


Was wären für Euch „Wasser“-Tage? Für mich sind es Tage, an denen ich nichts auf die Reihe bekomme oder vielleicht doch, aber ohne Erfolgserlebnis. Tage, an denen ich Dinge vor mir herschiebe, die keinen Aufschub dulden. An denen ich zuviel grübele anstatt ins Tun zu kommen. Tage, die mich von Menschen entfernen, die mir viel bedeuten. An denen ausschließlich Unfreundliches geschieht und ich mich davon herunterziehen lasse. Tage, die Niederlagen im Gepäck führen und ahnen lassen, dass das nächste Problem, der nächste Kampf bereits vorprogrammiert ist. Tage, über denen als einzige Headline steht: „Du musst“. An denen (Lebens-)lösungen so fern scheinen wie der Planet Neptun. Tage wie eine fette graue Regenwolke, die sich ins Unendliche dehnt und nicht den winzigsten Sonnenstrahl durchlässt. Tage, an denen ich meinem Wunschbild von mir selbst nicht annähernd entspreche.


Und die „Wein“-Tage? Oh, das sind Tage, die vor Lebensfreude funkeln! An denen ich mich selbst übertreffe und das Gefühl habe, ich könne die Welt aus den Angeln heben. Und allein schon dieses Gefühl dazu führt, dass ich es kann. Jedenfalls meine eigene kleine Welt. Wenn die Puzzleteile des Lebens, vorher von einer unbarmherzig niedersausenden Faust in alle Richtungen verteilt, plötzlich wieder ein Bild ergeben, an dem ich weitermalen möchte. Tage, die eine unerwartete Freude bereithalten, eine Überraschung, gute neue Erfahrungen. Einen vertrauten Gedankenaustausch mit Freunden, ein liebevolles Telefonat, einen Plausch mit der Nachbarin, Begegnungen mit Menschen, die warmherzig sind und zugewandt und klug. Oder einen Abend im Theater, der die Fantasie beflügelt. Schöne Musik. Hören und machen. Tage, an denen ich mich in der Mitte meines Lebens fühle und wieder weiß: Alles ist möglich.

Beide Varianten erlebe ich pur gegenwärtig selten. Den flapsigen Spruch „Das Leben ist kein Ponyhof“ möchte ich zwar gern weit von mir weisen und tatsächlich mag ich ihn kein bisschen, aber leider ist Wahres dran. Und so habe ich morgens beim Aufstehen oft zuerst den riesigen Wasserkrug vor Augen. So vieles neu zu ordnen, zu begradigen, anzugehen. Wieder so‘n „Leg dich lieber wieder hin“-Tag... Aber genau das tue ich nicht. Sondern krempele die Ärmel hoch und widme mich allem Unangenehmen, Lästigen, aber dennoch Unvermeidlichen Schrittchen für Schrittchen. Hangele mich am Notwendigen entlang, um anschließend nach Schönem zu schauen. Dem Spritzer „Wein im Wasser“. 

Meist sind es kleine Dinge, doch mit großer Wirkung. Ein Spaziergang am Bach entlang und die Schneeglöckchen und Krokusse in den Gärten blühen schon. Die Zwergweide in meinem Garten, die über und über Kätzchen trägt. Mein roter Kater mit seiner langen Wildlingskarriere, der heute gelassen mitten in der Wiese vor meinem Balkon sitzt und sich putzt. Nachrichten von Freunden, die an mich denken. Ein neues Lied, das ich auf der Gitarre spielen lerne. Ein gutes Buch, das mich für Momente in eine andere Lebenswelt entführt. Oder wie gerade eben: die Freude daran, Gedanken zu formulieren und währenddessen ganz bei mir und im Moment zu sein.

„Weinschorle“ also steht bei mir grad auf der Getränkekarte ganz oben. Zum Wohl! Auf dieses schwerste und doch schönste Leben und Euch alle da draußen! 

Und hier geht's zum Lied: Lift: Wasser und Wein

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen