Sonntag, 23. Februar 2020

Vom Älterwerden oder: Alles halb so wild!

Uff… Ein Text, den ich seit Wochen immer wieder aufs Neue überarbeitet habe. Und jede Aussage mehrfach geprüft: Stimmt das jetzt wirklich oder flunkere ich mir hier selbst in die Tasche? Ein komplexes Thema einfach. Dem ich versucht habe, mich so ehrlich wie möglich zu stellen.



Sprüche zum Älterwerden gibt’s die Menge. Neben dem wohl bekanntesten „Altern ist nichts für Feiglinge“ kluge, schöne, witzige:

Je älter man wird, desto ähnlicher wird man sich selbst. (Maurice Chevalier)

Fürchte nicht, dass der Körper, sondern nur, dass die Seele altert. (Chinesisches Sprichwort)

Älter werden ist, wie auf einen Berg zu steigen; je höher man kommt, umso mehr Kräfte sind verbraucht, aber umso weiter sieht man. (Ingmar Bergman)

Hannelore Elsner aber hat es ganz lakonisch so formuliert: „Wer nicht alt werden will, muss einfach früher sterben.“ 

Auch keine Option, oder?

Als ich Mitte 40 war, begann der Gedanke ans Älterwerden mir immer stärkere Bauchschmerzen zu verursachen. Ich stellte mir vor: ins Unscharfe verschwimmende Gesichtszüge (alternativ: Kerben und Falten), einen Körper, mehr und mehr der Schwerkraft nachgebend, abnehmende Fitness, möglicherweise das eine oder andere Zipperlein. Bis ich irgendwann der festen Annahme war, ich würde die 50 wohl gar nicht überschreiten – einfach, weil mir all das unvorstellbar war. Unvorstellbar vor allem, ich könnte mich jemals mit diesen Veränderungen arrangieren, ja - es überhaupt nur wollen.

Inzwischen sind fast eineinhalb Jahrzehnte vergangen (und siehe da, ich lebe noch!) und heute würde ich meinem jüngeren Ich gern beruhigend auf die Schulter klopfen und sagen: Keine Panik, Süße …

Wie also fühlt sich Älterwerden an?

Fangen wir bei der Fassade an, sagen wir: vom Hals an abwärts.  Na klar verändert sich da was. Nicht zwingend die Konfektionsgröße, aber doch peu a peu die jugendliche Straffheit. Dort und da scheint eine Form nicht mehr so knackig definiert, weicher irgendwie. Freundlich formuliert: ein bissl unscharf. Und je nach Lichteinfall – oh, wie unbarmherzig können Spiegel in Umkleidekabinen sein! - ist da durchaus „Plissee“ zu vermerken. Bzw. das eine oder andere Speckröllchen. Auch verschwindet ein angefuttertes Kilo leider nicht mehr wie früher über Nacht, nur weil ich einen Tag auf die Futterbremse getreten bin.

Und obendrüber? Die Schatten um die Augen etwas dunkler und darunter Mimikfältchen, die ausschauen, als hätte wer mit der Spitze eines Zirkels feine Linien gezogen. Pigmentveränderungen,  bei denen die Frage im Raum steht: Sind das jetzt noch Sommersprossen? Oder schon Altersflecke? Jedenfalls offenbar gekommen, um zu bleiben. Und die beiden Kerben zwischen den Augenbrauen vom Nachdenken-Stirnrunzeln-Ärgern verschwinden selbst dann nicht mehr gänzlich, wenn ich die Brauen bis Anschlag nach oben ziehe. Was möglicherweise als Gesichtsgymnastik funktioniert, aber unglaublich doof aussieht. Sich auch so anfühlt. Richtig übel nimmt die Mimik inzwischen eine Serie schlafloser Nächte oder exzessive Tränenausbrüche. Da hilft auf die Schnelle nur `ne Maske oder – wenn’s denn die Verfassung zulässt: Sport.  

Das Positive: Nichts von alldem geschieht über Nacht. Man hat viel Zeit, sich damit anzufreunden. Obwohl es manchmal ein Phänomen gibt, das ich „Zeitsprung“ nenne: scheinbarer jahrelanger Status Quo - Wow, der Alterungsprozess betrifft jeden, aber nicht mich! – doch plötzlich ist da etwas. Hm. Das war doch gestern noch nicht da?! Aber na gut. Ich registriere es und gehe zur Tagesordnung über.

Soweit zur Fassade. Die bröckeln mag, aber nur ganz langsam. So, wie ein bewohntes Haus verwittert. Dort fällt mal ein Krümelchen Putz heraus; da ist die Tünche nicht mehr ganz so leuchtend. Der Zahn der Zeit eben.

Und die Gesundheit? Dazu kann ich selbst – dreimal auf Holz geklopft! – kaum Negatives beisteuern. Außer der Erfahrung, dass alles rund um Knochen, Gelenke, Sehnen, Bänder mit den Jahren definitiv länger zum Heilen braucht. Weswegen ich seit meinem Motorradunfall vor einigen Jahren, besser: Umfaller, weil auf Splitt weggerutscht und dann 150 kg auf dem Bein, absehbare Risiken zu vermeiden versuche. Ok, ein großes Thema wären da noch die Wechselbalgjahre. Die keine Krankheit sind, sich aber so anfühlen können, auch wenn es inzwischen reichlich Publikationen gibt, die uns Frauen davon überzeugen möchten, alles sei nur eingebildet. Nun ja, dafür fühlt es sich aber verdammt echt an. (Und mir stellen sich regelmäßig die Nackenhaare auf, wenn ich sowas lese …). Hab die ganze Palette: Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen & (schmerzhaft) eingeschlafene Extremitäten erlebt und schließlich mit Hormonen gegengesteuert, auch wenn sich die (wissenschaftlichen) Geister an dieser Frage scheiden. Ich möchte Lebensqualität und damit war für mich der Drops gelutscht.  

Das eigentlich Interessante am Älterwerden ist jedoch, was sich innendrin abspielt. Mag sich auch der Kern nicht wesentlich ändern, passiert doch eine Menge. Einiges davon hier in loser Folge und ohne jegliche Rangordnung notiert:

Um an‘s oben Geschriebene anzuknüpfen: Ich habe eine große Portion Gelassenheit entwickelt, was „perfektes“ Aussehen angeht. Akzeptiere die Veränderungen und definiere mich heute weit weniger über mein Aussehen, das ich früher immer auch als eine Art Schutzschild gegen die Außenwelt betrachtet habe. Heute verlasse ich ohne mit der Wimper zu zucken auch mal ungeschminkt das Haus – na und?

Ich muss nicht mehr jeden Disput zu Ende führen, hoffend, den anderen mit meinen Argumenten zu überzeugen. Er wird ebenso gute Gründe für seine Sichtweisen haben wie ich für die meinen. Die Erkenntnis, dass ich die Wahrheit – die in ganzer Absolutheit ohnehin selten existiert – nicht gepachtet habe.

Ein gutes Buch zu lesen ist mir inzwischen wichtiger als die immerwährende Jagd nach Erlebnissen. Überholspur war gestern. Und wenn eine Weile mal wenig im Leben passiert, kann ich auch das genießen. Ist doch längst nicht alles, was da so auf der Matte steht und rein will, auch immer willkommen. Schätzenswert: eine gute Balance zwischen „laut und leise“.

Ich hab endlich zu akzeptieren gelernt, dass nahezu nichts sicher ist in diesem Leben. (Außer der Veränderung. 😃) Gewusst hab ich das zwar schon lange, aber ebenso lange mich gegen dieses Wissen gesträubt. Inzwischen kann ich besser damit umgehen, ohne pausenlos von einer Befürchtung in die nächste zu schlittern. Und Dinge auch mal laufen lassen, ohne mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln daran zu drehen, bis das Ergebnis meinen Vorstellungen entspricht.

Ich bin (noch) intoleranter gegen Dummheit geworden oder das, was ich dafür halte. Gegen Menschen, die „denken lassen“, lediglich fremde Meinungen reproduzieren - eine Sprechblase nach der anderen. Die alles, was hierzulande und in der Welt an Argem geschieht, für letztlich alternativlos halten. Gegen die große Schar der Schwarz-weiß-„Denker“ auch.

Meine Aufmerksamkeit und gleichzeitig Dankbarkeit für die kleinen Dinge des Lebens haben sich geschärft, sei es eine freundliche Geste, ein Lächeln, ein Schwatz mit der Nachbarin. Dankbarkeit auch für vieles, das ich früher als selbstverständlich betrachtet habe: den vertrauten Rückzugsort namens Familie. Meine kuschlige Wohnung inmitten einer grünen Siedlung. Gesundheit! Freunde, die auch dann noch nah sind, wenn man sich lange nicht begegnet ist.

Eine große Sensibilität habe ich für das Thema Vergänglichkeit entwickelt. In diesem Leben ist alles nur geborgt. Also schätze und pflege es, so lang Du es in Deinem Leben hast. Widme ihm Zeit. Menschen, Tieren, was auch immer. Neulich der Gedanke: Wie lange wird es mir wohl vergönnt sein, meinen Enkel, diesen unlängst geborenen Winzling, aufwachsen zu sehen? Who knows …

Merklich empfindlicher und mit Unmut/Abwehr reagiere ich auf alles, was meinen inneren Frieden stört. Lärm. Hektik. Druck. Stress. Nicht zuletzt - Aggressivität, in welcher Form auch immer. Respektlosigkeit. Gegen all das versuche ich mich heute konsequent abzugrenzen. Im Privaten mit all den Wohlfühlmenschen um mich gelingt das leicht; im Job ist es mehr denn je eine Herausforderung.

Auch bilde ich mir ein (das formuliere ich bewusst vorsichtig), mich besser zu kennen. Vor allem die eigenen Verhaltensmuster, sprich: was ich warum auf genau diese Weise tue oder eben nicht. Und bin eher geneigt, mich zu korrigieren. Im besten Falle.

Eigentlich alles Gründe, sich über's Älterwerden zu freuen, es wirklich zu begrüßen, weil mit Wachstum verbunden und einem konsequenteren Einstehen für die, die ich bin. 

Ok – ehrlicherweise gesagt werden muss auch: Die absolute schwebende Leichtigkeit und vollkommene Unbekümmertheit sind futsch. Das macht wohl der Bodensatz an Niederlagen, vergeblich geführten Kämpfen und Enttäuschungen, der sich irgendwo innendrin niedergeschlagen hat. Schade, aber nicht zu ändern. Das Gute daran könnte sein, dass man genau deshalb überlegtere Entscheidungen zu treffen imstande ist.

Tja. So ist das also. Ich meine: für mich. Älterwerden mag nichts für Feiglinge sein, aber es verleiht stärkere Gelassenheit/Souveränität und hat eine Menge Erkenntnisse im Gepäck. Und ist jedenfalls kein Grund, sich davor zu fürchten. 


PS. Eine Bekannte hat mich neulich nach meinem „Geheimrezept“ für’s „Jung bleiben“ gefragt. Hm. 1st: gute Gene, nehme ich an. Plus Ernährung. Kaum Fleisch, wenig Süßes, viel Obst, viel Wasser. Wenn ich daraus auch keinen Kult mache. Sport. Lebensfreude. Essentiell: Ruhephasen und ausreichender Schlaf, der seinen Namen auch verdient. Von jeglichem Fanatismus aber bin ich weit entfernt und rate auch davon ab. Selbst bei diszipliniertester Lebensführung nach allen Regeln der Beauty-Magazine dürften sich Körper und Gesicht oberhalb einer gewissen Altersgrenze nicht mehr in ihr früheres Abbild zurückverwandeln lassen. Das zu wollen, macht nur irre unzufrieden. Ebenso wie Vergleiche mit scheinbar perfekten – allzuoft per PhotoShop nachbearbeiteten – Vertreterinnen unseres Geschlechts auf Instagram & Co. Verbissenheit und Perfektionswahn führen ziemlich sicher in die Frustration, meine ich. Und lasse hier noch Meryl Streep zu Wort kommen, die sagt: 

„Verschwende nicht so viel Zeit damit, dich um dein Gewicht zu sorgen. Es gibt keine abstumpfendere, langweiligere, dümmere, selbstzerstörerische Ablenkung vom Spaß des Lebens.“ 

Gleiches dürfte generell für's Jungbleiben auf Teufel komm raus zutreffen.


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