Das gesellschaftliche Klima ist rauer geworden und
Meinungsverschiedenheiten werden zunehmend aggressiver ausgetragen. Die Fronten
verlaufen kreuz und quer durch alle Schichten und reichen bis in die Familien
und Freundeskreise hinein. FB-Nutzer fordern ihre Freunde auf, die Freundschaft zu beenden, sofern sie andere Meinungen als die ihrigen vertreten.
Es scheint, als gäbe es im Diskurs über
gesellschaftliche Probleme nur noch die Extreme Richtig und Falsch; jegliche Abweichung
von der öffentlichen Meinung, und sei es auch nur um Nuancen, wird mit
Misstrauen betrachtet und deren Verteidiger an den Pranger gestellt. Devise:
null Toleranz. Wo ist die Mitte hin, die
Akzeptanz für andere Standpunkte, die Meinungsvielfalt? Wo ist das Zuhören hin,
getragen von der Intention, die Ansicht des jeweils anderen zu verstehen?
Ich lebe in einer Welt der Menschen. Ob ich zu Fuß durch meine
Siedlung unterwegs bin oder an der Elbe entlang radele, ob ich einkaufen gehe
oder in meinem Gärtlein werkele, Inliner fahre oder im Biergarten sitze, in der
Kiesgrube bade oder in der Wiese liege, in der Bibliothek Bücher ausleihe oder
im Park Tischtennis spiele: ringsumher Menschen. Kleine, große, junge, alte, schlanke,
füllige, gestylt oder sportlich, blass oder sonnengebräunt, freundlich oder
reserviert, fröhlich oder ernst. Menschen. Mit denen ich gern Worte wechsele,
aus denen manchmal ein Gespräch über Gott und die Welt entsteht. Denen ich
zuweilen zulächele und ein Lächeln – freundlichste Währung der Welt - zurückerhalte.
Menschen. Die meine Ansichten und Überzeugungen teilen. Oder nur teilweise. Oder
überhaupt nicht. Doch auch dann, wenn ich mit ihnen diskutiere, selten - streite,
bleiben sie für mich zuallererst: Menschen. Mit ihren ganz persönlichen
Prägungen, Erfahrungen, Freuden und Nöten, Vorlieben und Abneigungen, Hoffnungen,
Wünschen, Ängsten.
Lese ich Presseberichte oder Verlautbarungen von Politikern
zu Ereignissen und Entwicklungen im Lande, kommen Menschen dort zunehmend
seltener vor. Anstelle dessen – besonders dann, wenn der offiziell vereinbarte
und über die Leitmedien verbreitete gesellschaftliche Konsens nicht in Bausch
und Bogen geteilt wird – Schubladen. Auf denen u. a. steht: Ausländerfeinde,
Rassisten, Nazis, Aluhüte, Verschwörungstheoretiker, Coronaleugner, Covidioten.
Politiker bezeichnen Bürger als Pack oder braunen Mob. Der WDR-Kinderchor
trällert ein Liedchen über Oma, die Umweltsau. Als der Sturm der Entrüstung
einsetzt, packt ein freier Journalist selbiger Sendeanstalt noch eins drauf,
indem er twittert: "Eure Oma war keine Umweltsau. Stimmt. Sondern eine Nazisau." Eine Journalistin der TAZ sieht Polizisten mangels anderer
Verwendbarkeit, weil rassistisch, künftig auf der Müllhalde; in vorangegangenen
Beiträgen schreibt sie von deutscher Dreckskultur, wünschend, die Deutschen
sollten sich möglichst schnell abschaffen.
Rentner verprassen die Altersbezüge
der Jüngeren. Autofahrer sind Umweltsünder. Alle Ostdeutschen zumindest latent
rassistisch veranlagt. Die Flut der Pauschalurteile und Diffamierungen in den
Medien reißt nicht ab.
Und viele sind im Publikum, die klatschen Beifall. Standing
ovations für Beleidigungen. Beleidigungen? Nicht doch! Die Richter des Bundesverfassungsgerichtes
sehen nahezu jede Schmährede durch Artikel 5 des Grundgesetzes – das Recht auf
Meinungsfreiheit - gedeckt. Machen sie damit salonfähig. Art 1 GG – die Würde
des Menschen ist unantastbar – hingegen ist längst zum Stiefkind geworden.
Wohin führt der Trend zur pauschalen Verschublädelung?
Zu einer grassierenden Oberflächlichkeit im Denken, das
Differenzierung nicht mehr kennt – zu einem Denken in Klischees, in Rastern. Zur
radikalen Einordnung anderer Menschen, ja ganzer Teile der Bevölkerung, in die
Rubriken Freund bzw. Feind, oftmals ohne fundierte Kenntnis - zur
Urteilsbildung genügen einige wenige Schlagzeilen. Zu immer mehr unversöhnlichen Fronten
innerhalb unserer Gesellschaft und Gräben, zu tief und zu breit, als dass noch
ein konstruktiver Dialog möglich wäre. Zur Vergiftung des gesellschaftlichen
Klimas und Zerstörung der Gemeinschaft. Zu Misstrauen, Feindseligkeit, Hass. Die
das Potential haben, früher oder später in Taten gegen die als Feind
ausgemachte Zielgruppe zu münden.
Sind sich die deutschen Medienhäuser und Politiker – und damit
jene, die die öffentliche Meinungsbildung maßgeblich beeinflussen -, bewusst, was
sie tun, wenn sie radikale und nicht selten beleidigende Pauschalurteile
publizieren, ganze Teile der Bevölkerung abqualifizieren? Sind sie sich ihrer Verantwortung
für den gesellschaftlichen Frieden im Lande bewusst? Oder geht es in erster Linie darum, Aufmerksamkeit zu erheischen, Quote zu erzielen um jeden Preis? A la „Gehört
wird, wer am lautesten schreit“?
Fest steht, dass diese Entwicklung, der sich nur wenige Journalisten und Politiker entgegenstellen, nicht zur Gestaltung einer
friedlichen und damit lebenswerten Gesellschaft beiträgt. Dass Probleme nicht gelöst
werden, indem man Feindbilder etabliert und jegliche Meinungsäußerung, die
nicht zu 100% die öffentliche Sichtweise widerspiegelt, entweder zu unterbinden
versucht oder sanktioniert. Dass man damit lediglich für schwelenden Unmut
innerhalb der Bevölkerung sorgt und - massiv zu ihrer Spaltung beiträgt.
Man sagt, wir lebten in einer Demokratie. Die Wikipedia wie
folgt definiert:
„Demokratie (von altgriechisch δημοκρατία ‚Herrschaft des
Staatsvolkes‘; von δῆμος dēmos „Staatsvolk“ und altgriechisch κράτος krátos
„Gewalt“, „Macht“, „Herrschaft“) bezeichnet heute Herrschaftsformen, politische
Ordnungen oder politische Systeme, in denen Macht und Regierung vom Volk
ausgehen (Volksherrschaften). Dieses wird entweder unmittelbar (direkte Demokratie) oder
durch Auswahl entscheidungstragender Repräsentanten (repräsentative Demokratie)
an allen Entscheidungen, die die Allgemeinheit verbindlich betreffen,
beteiligt.[1] In demokratischen Staaten und politischen Systemen geht die
Regierung durch politische Wahlen aus dem Volk hervor. Da die Macht von der
Allgemeinheit ausgeübt wird, sind Meinungs- und Pressefreiheit zur politischen
Willensbildung unerlässlich.[2][3][4] Weitere wichtige Merkmale einer modernen
Demokratie sind freie und gleiche Wahlen, das Mehrheits- oder Konsensprinzip,
Minderheitenschutz, die Akzeptanz einer politischen Opposition,
Gewaltenteilung, Verfassungsmäßigkeit, sowie Schutz der Grund-, Bürger- und
Menschenrechte. Diese liberale Wertebasis, die als solche auch durch
Mehrheitsentscheidung nicht antastbar ist, unterscheidet sie auch wesentlich
von einer Ochlokratie, Volksrepublik oder Tyrannei der Mehrheit."
Und noch einmal Wikipedia – zum Begriff „liberale Wertebasis“:
„Leitziel des Liberalismus ist die Freiheit des Individuums vornehmlich
gegenüber staatlicher Regierungsgewalt, er richtet sich gegen
Staatsgläubigkeit, Kollektivismus, Willkür und den Missbrauch von Macht bzw.
Herrschaft."
Diese Definitionen zugrundegelegt: Leben wir wirklich noch
in einer Demokratie?
Wie unzählige andere Menschen, denen der schärfer und unflätiger gewordene
Tonfall in der öffentlichen Auseinandersetzung und die Diffamierung
Andersdenkender durch Politiker und Journalisten missfällt und die sich einen
sachlichen, respektvollen, auf Fakten basierenden Dialog zwischen politischen
und gesellschaftlichen Gruppierungen wünschen, habe auch ich weder Mittel noch Wege, dies zu beeinflussen. Jedoch eine Vision, wie es dennoch aus der Mitte
der Gesellschaft heraus gelingen kann:
Kündigen wir jenen die Gefolgschaft, die
Menschen mit wohlfeilen Etiketten versehen und Feindbilder etablieren. Kündigen
wir jenen die Gefolgschaft, die uns suggerieren wollen, es gäbe nur eine
einzige richtige Sichtweise auf gesellschaftliche Entwicklungen. Lassen wir uns
unser Denkvermögen nicht kastrieren, indem wir nur noch offizielle
Verlautbarungen widerkäuen. Lernen wir wieder, zuzuhören und vom eigenen
Standpunkt abweichende Meinungen nicht nur auszuhalten, sondern zu akzeptieren.
Vielleicht sogar: zu verstehen vor dem Hintergrund der anderen Erfahrung oder Prägung.
Verabschieden wir uns von den Schubladen und betrachten Andersdenkende wieder
als das, was sie sind: Menschen mit anderen Ansichten und Überzeugungen.
Weil Gesellschaft nur miteinander geht.
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