Die Sonne steht noch am Himmel an diesem langen Sommertag. Bald wird sie sich hinter dem Wolkensaum am Horizont verstecken, doch
noch schickt sie Wärme und Licht in mein Gärtlein. Still ist’s. Die emsigen
Bienen und Hummeln, die sich tagsüber am Lavendel, dem wilden Thymian, der Katzenminze und all den vielen Wildblumen
ringsum gütlich getan haben, sind schon in ihre Verstecke
zurückgekehrt und ruhen sich vom Tag aus. Vielleicht auch, weil der Wind
aufgefrischt hat – morgen soll der Sommer ein Päuschen einlegen, heißt es.
In den hohen Bäumen am Landgraben zwitschern die Vögel in ihren Nachtquartieren. Stare gibt’s in diesem
Jahr viele; im Frühjahr sind ganze Schwärme dieser munteren Tierchen über
unsere Wiesen getrippelt. Überhaupt diese reiche Vogelwelt in meiner Siedlung: Meisen, Spatzen, Amseln, Eichelhäher, Buntspechte,
Ringeltauben. Oder sind’s doch Türkentauben? Schon längst wollte ich den Unterschied
googeln. Ein Nachbar erzählte mir, früher hätte es hier auch Rotkehlchen und
Stieglitze gegeben. Hoch oben am blassblauen Himmel flitzen noch die Mauersegler. Die weniger geworden sind über die Jahre. Ebenso wie die kleinen Fledermäuse, die
mit Beginn der Dämmerung vor meinem Balkon kreuzen.
Neben mir ein Rascheln. Den Besucher kenn' ich schon: ein
weißer, halb gestreifter, halb gefleckter Kater mit einem Glöckchen um den
Hals. Woher ich weiß, dass es ein Kater ist? Sieht man an den kräftigen
Hinterläufen. Und wenn man eine Katzenflüsterin ist wie ich, sieht man’s auch
am Gebaren. Kater sind – einfach anders. Männlich stolz, besser lässt es sich nicht
erklären. Das Katertier ist nicht auf meine Bekanntschaft aus und sowieso ganz
und gar damit beschäftigt, im Gras welcher Beute auch immer aufzulauern. Einem
Heupferdchen vielleicht. Gestern hab ich eines entdeckt, so lang wie mein
Zeigefinger. Gehört hatte ich dieses Prachtexemplar schon vorher, weil er
weitaus lauter, naja - musizierte? als seine kleinen Artgenossen.
Die Katzen aus der Nachbarschaft lieben meinen Garten, weil
es hohes Gras gibt, vielerlei Getier zum Haschen und schattige Verstecke. Immer
wieder steckt der Weiße seine Nase unter mein hohes Pampasgras, hat wohl etwas
gehört oder geschnuppert. Sein Besuch tröstet mich, vermisse ich doch Gustav
sehr. Vier Wochen sind keine lange Zeit. Nun liegt er wenige Meter neben mir
tief unter der Erde, sein letzter Ruheort geschmückt mit einem Porzellankaterchen, das mir meine Nachbarin
geschenkt hat und einer Vase mit einem Zweiglein Sommerflieder. Meine englischen
Duftrosen sind schon verblüht.
Ich gönne mir ein Gläschen Sekt nebst einer Zigarette. Auf
der Packung steht, Rauchen verursacht Herzanfälle. Rauchen macht impotent, wäre
mir lieber. Ja, ich rauche im Moment zu viel.
Nehme mir seit Wochen vor, die Glimmstängel wenigstens außer Reichweite im
Keller zu deponieren und tu’s dann doch nicht. Ein seltsames Jahr – so vieles
in der Schwebe und wieder anderes unwiderruflich vorbei. Wie mein Wildlingsmärchen.
Seither hangele ich mich an den Tagen entlang, Trost ein rares Gut. Und just am
Wochenende Bauchgrummeln ob der Befürchtung, wieder in ein Tal abzugleiten,
weil ich morgens schwerer Tritt fasse als gewohnt. Letztlich zwar immer ein „Und sie
bewegt sich doch!“ und dennoch bin ich des Abends selten im Einklang mit mir, selten
zufrieden. Stetiges Ringen um Abrechenbares, geradeso, als müsse ich mich
meiner Daseinsberechtigung tagtäglich neu versichern. Für den 22. Juli nun ein
weiteres Vorstellungsgespräch avisiert, doch die offizielle Einladung steht
noch aus. Nach all den vergeblichen Versuchen seit Januar, mehrere Male bereits
den Fuß in der Tür und doch auf den letzten Metern verloren, ist’s schwer, die
Motivation in Sachen Jobsuche zu behalten.
Dann sag ich mir – wie heute: Und doch ist das Leben schön.
Und überhaupt – genieß es doch einfach, zu Hause bleiben zu dürfen. Wie oft denn hast du im
vergangenen Jahr gewünscht, morgens nicht antreten zu müssen … dich dem täglichen
Druck, der Hektik und unschönen Arbeitsatmosphäre jenseits von Freundlichkeit
entziehen zu können wenigstens für ein Weilchen. Und schließlich: Du bist
gesund, hast ein schnuckliges Dach über dem Kopf inmitten einer
Wohlfühlumgebung und Menschen ringsum, die dir wohlgesonnen sind und
nah.
Am Landgraben geht ein junges Pärchen spazieren nebst Hund.
Fröhlich stöbert er durchs Gras. Was wir von Tieren lernen können: ganz und gar
im Moment zu sein. Nicht zurückzudenken und nicht in die – stets vage –
Zukunft hinein. Den Augenblick zu leben.
Die Sonne am Horizont versunken und es meldet sich eine
Grille, der Lautstärke nach zu urteilen ist's jener zeigefingerlange Prachtkerl. Schön hab ich’s hier in meinem grünen Paradies. Schön und still und friedlich. Und hier nun, heut Abend nun,
gelingt es mir auch wieder, zu schreiben nach vielen Tagen, an denen jegliche
Kreativität versickert schien. So viele begonnene Fragmente, Skizzen, und nichts
beendet, weil im Kopf zu zerstreut und das Schreiben bloße Mühe. Fleiß allein tut’s nicht. So wie Talent allein es nicht tut. Auch
meine Gitarre stumm seit vielen Tagen, obwohl das Musizieren, das Singen
so oft schon eine gedämpfte Stimmung in Freude verwandelt hat. Wie auch das Gewahrwerden dessen, wie vieles ich schon gelernt habe über die Zeit. Meine
Finger – die Hornhaut auf den Fingerkuppen der linken (Greif-)Hand
inzwischen wieder passé - werden mich den Schlendrian demnächst fühlen lassen.
Kreativität kann aus einem All-Tag einen Festtag für die Seele machen. Sie schenkt Ruhe, Zufriedenheit und nicht zuletzt – Erfolgserlebnisse.
Vielleicht jedoch lege ich die Messlatte für mich selbst sehr hoch. Etwas, das das Leben nicht leichter macht. Nur hab ich’s
mit dem Kleinklein des Alltags nicht so, wohl, weil sich auf diese Weise ein
Tag akkurat so anfühlt wie der andere. Ununterscheidbare Routinen, die die Zeit
dahinplätschern lassen, bis der Tag auf Nimmerwiedersehen im Sog der Nacht verschwindet. Aber vielleicht
ist’s nicht wirklich weise, sich für jeden einzelnen Tag auch kleine Höhepunkte
zu wünschen? Dennoch: Die Zeit läuft, das Leben läuft, und der Sommer wird auch
in diesem Jahr wieder zum Herbst. Und gewiss auch in diesem Jahr wieder viel zu
früh für meinen Geschmack. Nutze ich also die kostbare freie Zeit, um mich meines Lebens und meiner Freiheit zu freuen anstatt der Trübsal
zu viel Raum zu geben. Oder dem Ehrgeiz, jedem Tag unbedingt ein Krönchen abtrotzen zu wollen.
Nun doch noch - erst jetzt - der Sonnenuntergang. Mit einem letzten sanften Leuchten verabschiedet sich Klärchen für heute und auch ich werde nun mein stilles Paradies verlassen. Meine Survivor-Miez Anita, die kleine spanische
Plaudertasche und im Frühjahr Gevatter Tod knapp entwischt, wird schon auf mich warten.
Und Ihr - habt eine gute Nacht und ein
fröhliches und zufriedenes Erwachen morgen früh!
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