Dienstag, 14. Juli 2020

Abendgedanken

Die Sonne steht noch am Himmel an diesem langen Sommertag. Bald wird sie sich hinter dem Wolkensaum am Horizont verstecken, doch noch schickt sie Wärme und Licht in mein Gärtlein. Still ist’s. Die emsigen Bienen und Hummeln, die sich tagsüber am Lavendel, dem wilden Thymian,  der Katzenminze und all den vielen Wildblumen ringsum gütlich getan haben, sind schon in ihre Verstecke zurückgekehrt und ruhen sich vom Tag aus. Vielleicht auch, weil der Wind aufgefrischt hat – morgen soll der Sommer ein Päuschen einlegen, heißt es.



In den hohen Bäumen am Landgraben zwitschern die Vögel in ihren Nachtquartieren. Stare gibt’s in diesem Jahr viele; im Frühjahr sind ganze Schwärme dieser munteren Tierchen über unsere Wiesen getrippelt. Überhaupt diese reiche Vogelwelt in meiner Siedlung: Meisen, Spatzen, Amseln, Eichelhäher, Buntspechte, Ringeltauben. Oder sind’s doch Türkentauben? Schon längst wollte ich den Unterschied googeln. Ein Nachbar erzählte mir, früher hätte es hier auch Rotkehlchen und Stieglitze gegeben. Hoch oben am blassblauen Himmel flitzen noch die Mauersegler. Die weniger geworden sind über die Jahre. Ebenso wie die kleinen Fledermäuse, die mit Beginn der Dämmerung vor meinem Balkon kreuzen.

Neben mir ein Rascheln. Den Besucher kenn' ich schon: ein weißer, halb gestreifter, halb gefleckter Kater mit einem Glöckchen um den Hals. Woher ich weiß, dass es ein Kater ist? Sieht man an den kräftigen Hinterläufen. Und wenn man eine Katzenflüsterin ist wie ich, sieht man’s auch am Gebaren. Kater sind – einfach anders. Männlich stolz, besser lässt es sich nicht erklären. Das Katertier ist nicht auf meine Bekanntschaft aus und sowieso ganz und gar damit beschäftigt, im Gras welcher Beute auch immer aufzulauern. Einem Heupferdchen vielleicht. Gestern hab ich eines entdeckt, so lang wie mein Zeigefinger. Gehört hatte ich dieses Prachtexemplar schon vorher, weil er weitaus lauter, naja - musizierte? als seine kleinen Artgenossen.

Die Katzen aus der Nachbarschaft lieben meinen Garten, weil es hohes Gras gibt, vielerlei Getier zum Haschen und schattige Verstecke. Immer wieder steckt der Weiße seine Nase unter mein hohes Pampasgras, hat wohl etwas gehört oder geschnuppert. Sein Besuch tröstet mich, vermisse ich doch Gustav sehr. Vier Wochen sind keine lange Zeit. Nun liegt er wenige Meter neben mir tief unter der Erde, sein letzter Ruheort geschmückt mit einem Porzellankaterchen, das mir meine Nachbarin geschenkt hat und einer Vase mit einem Zweiglein Sommerflieder. Meine englischen Duftrosen sind schon verblüht.

Ich gönne mir ein Gläschen Sekt nebst einer Zigarette. Auf der Packung steht, Rauchen verursacht Herzanfälle. Rauchen macht impotent, wäre mir lieber.  Ja, ich rauche im Moment zu viel. Nehme mir seit Wochen vor, die Glimmstängel wenigstens außer Reichweite im Keller zu deponieren und tu’s dann doch nicht. Ein seltsames Jahr – so vieles in der Schwebe und wieder anderes unwiderruflich vorbei. Wie mein Wildlingsmärchen. Seither hangele ich mich an den Tagen entlang, Trost ein rares Gut. Und just am Wochenende Bauchgrummeln ob der Befürchtung, wieder in ein Tal abzugleiten, weil ich morgens schwerer Tritt fasse als gewohnt. Letztlich zwar immer ein „Und sie bewegt sich doch!“ und dennoch bin ich des Abends selten im Einklang mit mir, selten zufrieden. Stetiges Ringen um Abrechenbares, geradeso, als müsse ich mich meiner Daseinsberechtigung tagtäglich neu versichern. Für den 22. Juli nun ein weiteres Vorstellungsgespräch avisiert, doch die offizielle Einladung steht noch aus. Nach all den vergeblichen Versuchen seit Januar, mehrere Male bereits den Fuß in der Tür und doch auf den letzten Metern verloren, ist’s schwer, die Motivation in Sachen Jobsuche zu behalten.

Dann sag ich mir – wie heute: Und doch ist das Leben schön. Und überhaupt – genieß es doch einfach, zu Hause bleiben zu dürfen. Wie oft denn hast du im vergangenen Jahr gewünscht, morgens nicht antreten zu müssen … dich dem täglichen Druck, der Hektik und unschönen Arbeitsatmosphäre jenseits von Freundlichkeit entziehen zu können wenigstens für ein Weilchen. Und schließlich: Du bist gesund, hast ein schnuckliges Dach über dem Kopf inmitten einer Wohlfühlumgebung und Menschen ringsum, die dir wohlgesonnen sind und nah.

Am Landgraben geht ein junges Pärchen spazieren nebst Hund. Fröhlich stöbert er durchs Gras. Was wir von Tieren lernen können: ganz und gar im Moment zu sein. Nicht zurückzudenken und nicht in die – stets vage – Zukunft hinein. Den Augenblick zu leben.

Die Sonne am Horizont versunken und es meldet sich eine Grille, der Lautstärke nach zu urteilen ist's jener zeigefingerlange Prachtkerl. Schön hab ich’s hier in meinem grünen Paradies. Schön und still und friedlich. Und hier nun, heut Abend nun, gelingt es mir auch wieder, zu schreiben nach vielen Tagen, an denen jegliche Kreativität versickert schien. So viele begonnene Fragmente, Skizzen, und nichts beendet, weil im Kopf zu zerstreut und das Schreiben bloße Mühe. Fleiß allein tut’s nicht. So wie Talent allein es nicht tut. Auch meine Gitarre stumm seit vielen Tagen, obwohl das Musizieren, das Singen so oft schon eine gedämpfte Stimmung in Freude verwandelt hat. Wie auch das Gewahrwerden dessen, wie vieles ich schon gelernt habe über die Zeit. Meine Finger – die Hornhaut auf den Fingerkuppen der linken (Greif-)Hand inzwischen wieder passé - werden mich den Schlendrian demnächst fühlen lassen.

Kreativität kann aus einem All-Tag einen Festtag für die Seele machen. Sie schenkt Ruhe, Zufriedenheit und nicht zuletzt – Erfolgserlebnisse. Vielleicht jedoch lege ich die Messlatte für mich selbst sehr hoch. Etwas, das das Leben nicht leichter macht. Nur hab ich’s mit dem Kleinklein des Alltags nicht so, wohl, weil sich auf diese Weise ein Tag akkurat so anfühlt wie der andere. Ununterscheidbare Routinen, die die Zeit dahinplätschern lassen, bis der Tag auf Nimmerwiedersehen im Sog der Nacht verschwindet. Aber vielleicht ist’s nicht wirklich weise, sich für jeden einzelnen Tag auch kleine Höhepunkte zu wünschen? Dennoch: Die Zeit läuft, das Leben läuft, und der Sommer wird auch in diesem Jahr wieder zum Herbst. Und gewiss auch in diesem Jahr wieder viel zu früh für meinen Geschmack. Nutze ich also die kostbare freie Zeit, um mich meines Lebens und meiner Freiheit zu freuen anstatt der Trübsal zu viel Raum zu geben. Oder dem Ehrgeiz, jedem Tag unbedingt ein Krönchen abtrotzen zu wollen. 

Nun doch noch - erst jetzt - der Sonnenuntergang. Mit einem letzten sanften Leuchten verabschiedet sich Klärchen für heute und auch ich werde nun mein stilles Paradies verlassen. Meine Survivor-Miez Anita, die kleine spanische Plaudertasche und im Frühjahr Gevatter Tod knapp entwischt, wird schon auf mich warten.

Und Ihr - habt eine gute Nacht und ein fröhliches und zufriedenes Erwachen morgen früh! 


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