Vergnügen macht es mir definitiv nicht, diesen zweiten
Blogbeitrag zum Leben in Zeiten von Corona zu schreiben. Ich will die Situation
dennoch skizzieren – im Sinne einer Chronologie. Weil sich vielleicht später kaum noch wer erinnern können wird, wie sich unser aller Leben urplötzlich
verändert hatte. Wie schnell gesellschaftliche Normalität und ein Alltag, der uns allen
bisher selbstverständlich und gesichert erschien, ins Unwahrscheinliche,
Unvorstellbare abdriftete. Unbekannt dürfte Euch an meinen Schilderungen kaum
etwas sein, leben wir doch derzeit alle mehr oder weniger in einem Ausnahmezustand.
Menschenleere Dresdner Altstadt am 29. März 2020 |
Wie sich die Situation in Dresden aktuell darstellt, schildere ich hier in loser Folge.
Einkaufskultur: Abstandsmarkierungen in 1,5 m-Distanz inzwischen nicht nur
an den Kassen der Läden und Supermärkte, sondern da und dort bereits auf dem
Gehweg davor. Auf dem die weit auseinander gezogene Schlange derer wächst, die
das Geschäft noch nicht betreten dürfen. Die gestattete Anzahl der Kunden im
Laden wird durch die jetzt limitierte Anzahl an Einkaufswagen
definiert. Ohne Einkaufswagen – dienend als Abstandshalter - kein Betreten der
Geschäfte mehr möglich. Securitymitarbeiter teilen die Wagen zu, säubern vorher den Griff
mit Desinfektionsmittel. Viele Kunden sind zunehmend genervt, doch die Verkäuferinnen
trifft es schlimmer: Sie müssen diesen Unmut von früh bis spät abfedern und
dabei noch freundlich bleiben.
Die Regale mit Toiletten- und Küchenpapier nach wie vor
leer. Ich hatte Glück - die Verkäuferin meines Vertrauens zauberte mir neulich
eine Rolle Toilettenpapier unter der Theke hervor, nachdem sie mich in konspirativem Flüsterton gefragt hatte, ob ich noch hätte. Toipap
als Bückware – wer hätte das gedacht? Reis nur noch im Kochbeutel erhältlich; der Rest der Auslage in
Hamstertaschen verschwunden.
Da die Baumärkte ebenfalls geschlossen sind (und das in der
längst begonnenen Gartensaison), reiht sich vor’m OBI eine wahre Riesenschlange. Die
Leute holen sich ihre online oder telefonisch aufgegebenen Bestellungen im
Frontbereich des Marktes ab. Wartezeit neulich 1,5 h. (Anmerkung: In anderen Bundesländern bleiben die Baumärkte geöffnet.)
Die Wanderparkplätze in der Sächsischen Schweiz
(Elbsandsteingebirge) wurden allesamt gesperrt, um Ausflüge in die Umgebung Dresdens
zu verhindern. Die Dresdner weichen auf die Elbwiesen aus. Picknicken jedoch
ist dort verboten. Ausfahrten mit dem Motorrad sind in ganz Sachsen untersagt. (In anderen Bundesländern übrigens erlaubt ...) Ostern einmal anders.
Im Großen Garten, der grünen Lunge Dresdens, fährt die
Polizei Streife, um Menschengruppen zu verhindern.
Die Schulkinder, die allmorgendlich mein Sträßchen passieren, fehlen schon seit Wochen. Nun soll der Unterricht in Sachsen zumindest für die Abschlussklassen in der kommenden Woche fortgesetzt werden. Eine Kita ganz in der Nähe blieb geöffnet. Ich nehme an, dort werden die Steppkes betreut, deren Eltern weiterhin arbeiten gehen.
Der ältere Herr in der Nachbarschaft fühlt sich mit seiner Matte auf dem Kopf längst nicht mehr wohl, aber Friseurbesuch bis auf Weiteres nicht möglich.
Anderswo ist’s nicht lustiger. Im Netz lese ich, dass brave Bürger ihre Anwohnerstraßen genauestens observieren. Pkws mit fremden
Kennzeichen melden bzw. Zettel hinter dem Scheibenwischer platzieren mit der
Aufforderung, die geltenden C.-Bestimmungen zu respektieren und das Fahrzeug
schleunigst zu entfernen, anderenfalls Anzeige droht. (Dabei dürften in
Deutschland unzählige Pkws mit ortsfremdem Kennzeichen unterwegs sein. Nennen
sich z. B. Dienstwagen.)
Und dass die alten Menschen in den Heimen, die nicht besucht
werden dürfen, großes seelisches Leid erfahren. Seit Wochen warten sie vergeblich auf
den Besuch ihrer Familien. Und manchen von ihnen, weil dement, ist noch nicht
einmal begreiflich zu machen, warum sie allein bleiben.
Dagegen ist meine eigene Situation „ein Klacks“. Ja, C. hat meinen
neuen Job geschreddert, und ja, ich vermisse die Familie meiner Tochter samt
Enkel. Sehr sogar.
Gerade lese ich, dass die Kontaktsperre bis mindestens 3.
Mai 2020 aufrecht erhalten werden soll. Vorschlag der Bundesregierung.
Glaubte ich an eine höhere Macht, würde ich wahrscheinlich beten. Lieber Gott mach, dass bald wieder Normalität einkehrt. Nur:
Wie wird diese dann aussehen? Werden die Menschen, jetzt Kurzarbeiter oder arbeitslos
geworden, in ihre Firmen zurückkehren können? Werden die Unternehmen trotz
zweimonatiger Pause an ihren Jahreszielen festhalten und die notwendig gewordene Komprimierung der
Arbeitsaufgaben auf dem Rücken ihrer Arbeitnehmer austragen? Wie vielen Unternehmen und Selbstständigen wird der Ausnahmezustand den Garaus gemacht haben? Nur drei Fragen von vielen.
Hier die aktuellen
Zahlen Sachsens und Dresdens von heute, dem 15. April 2020 (der erste
C.-Fall wurde am 2. März 2020 registriert):
Sachsen: 4.028 positiv
auf SARS CoV-2 getestete Personen, 67 Todesfälle. Etwa 2.200 auf
SARS CoV-2 positiv getestete Personen sind wieder genesen.
(Rückblick 24. März: 1.018 positiv auf SARS CoV-2 getestete Personen, 6 Todesfälle)
Dresden: 497 positiv
auf SARS CoV-2 getestete Personen, 4 Todesfälle
Einwohnerzahl Sachsen (2018): 4.081.000
Einwohnerzahl Dresden (2019): 563.011
Wenn meine
Rechnung stimmt, sind das für Sachsen gegenwärtig 0.099% positiv getestete
Personen (24. März: 0,025%) und für Dresden 0,088% positiv
getestete Personen (24. März: 0,030%). Die Dunkelziffer dürfte nach wie
vor höher liegen, da nur
vergleichsweise wenige Personen getestet
wurden.
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