Mittwoch, 15. April 2020

Das Leben in den Zeiten von C. – April 2020

Vergnügen macht es mir definitiv nicht, diesen zweiten Blogbeitrag zum Leben in Zeiten von Corona zu schreiben. Ich will die Situation dennoch skizzieren – im Sinne einer Chronologie. Weil sich vielleicht später  kaum noch wer erinnern können wird, wie sich unser aller Leben urplötzlich verändert hatte. Wie schnell gesellschaftliche Normalität und ein Alltag, der uns allen bisher selbstverständlich und gesichert erschien, ins Unwahrscheinliche, Unvorstellbare abdriftete. Unbekannt dürfte Euch an meinen Schilderungen kaum etwas sein, leben wir doch derzeit alle mehr oder weniger in einem Ausnahmezustand.

Menschenleere Dresdner Altstadt am 29. März 2020  

Am letzten Märzwochenende hatte mich der Anblick der Dresdner Innenstadt fassungslos zurückgelassen. Das Zentrum meiner schönen Stadt an der Elbe, sonst Anziehungspunkt für viele Einheimische und Besucher - gerade auch am Wochenende – ganz und gar verwaist. Tot geradezu. Auf dem Altmarkt sichtete ich zwei, auf dem Neumarkt rund um die Frauenkirche drei Menschen. Ausnahmslos alles war geschlossen - Kaffee oder Kuchen gab's nicht einmal zum Mitnehmen. Eine wahrhaft ungastliche Wüste. Spätestens in diesem Moment ist mir schmerzhaft klar geworden, wie viele Tausend Existenzen aktuell auf dem Spiel stehen. Der Saisonauftakt einer Touristenmetropole mit dem Osterfest bereits in Sicht, Ertragsquelle für unzählige gastronomische und kulturelle Einrichtungen, Hotels, Straßenkünstler, Einzelhändler dem Virus zum Opfer gefallen. (Und wie sich später herausstellen würde: noch längst kein Licht am Horizont.)

Wie sich die Situation in Dresden aktuell darstellt, schildere ich hier in loser Folge.

Einkaufskultur: Abstandsmarkierungen in 1,5 m-Distanz inzwischen nicht nur an den Kassen der Läden und Supermärkte, sondern da und dort bereits auf dem Gehweg davor. Auf dem die weit auseinander gezogene Schlange derer wächst, die das Geschäft noch nicht betreten dürfen. Die gestattete Anzahl der Kunden im Laden wird durch die jetzt limitierte Anzahl an Einkaufswagen definiert. Ohne Einkaufswagen – dienend als Abstandshalter - kein Betreten der Geschäfte mehr möglich. Securitymitarbeiter teilen die Wagen zu, säubern vorher den Griff mit Desinfektionsmittel. Viele Kunden sind zunehmend genervt, doch die Verkäuferinnen trifft es schlimmer: Sie müssen diesen Unmut von früh bis spät abfedern und dabei noch freundlich bleiben.

Die Regale mit Toiletten- und Küchenpapier nach wie vor leer. Ich hatte Glück - die Verkäuferin meines Vertrauens zauberte mir neulich eine Rolle Toilettenpapier unter der Theke hervor, nachdem sie mich in konspirativem Flüsterton gefragt hatte, ob ich noch hätte. Toipap als Bückware – wer hätte das gedacht? Reis nur noch im Kochbeutel erhältlich; der Rest der Auslage in Hamstertaschen verschwunden.

Da die Baumärkte ebenfalls geschlossen sind (und das in der längst begonnenen Gartensaison), reiht sich vor’m OBI eine wahre Riesenschlange. Die Leute holen sich ihre online oder telefonisch aufgegebenen Bestellungen im Frontbereich des Marktes ab. Wartezeit neulich 1,5 h. (Anmerkung: In anderen Bundesländern bleiben die Baumärkte geöffnet.)

Die Wanderparkplätze in der Sächsischen Schweiz (Elbsandsteingebirge) wurden allesamt gesperrt, um Ausflüge in die Umgebung Dresdens zu verhindern. Die Dresdner weichen auf die Elbwiesen aus. Picknicken jedoch ist dort verboten. Ausfahrten mit dem Motorrad sind in ganz Sachsen untersagt. (In anderen Bundesländern übrigens erlaubt ...) Ostern einmal anders. 

Im Großen Garten, der grünen Lunge Dresdens, fährt die Polizei Streife, um Menschengruppen zu verhindern.

Die Schulkinder, die allmorgendlich mein Sträßchen passieren, fehlen schon seit Wochen. Nun soll der Unterricht in Sachsen zumindest für die Abschlussklassen in der kommenden Woche fortgesetzt werden. Eine Kita ganz in der Nähe blieb geöffnet. Ich nehme an, dort werden die Steppkes betreut, deren Eltern weiterhin arbeiten gehen.

Der ältere Herr in der Nachbarschaft fühlt sich mit seiner Matte auf dem Kopf längst nicht mehr wohl, aber Friseurbesuch bis auf Weiteres nicht möglich.

Anderswo ist’s nicht lustiger. Im Netz lese ich, dass brave Bürger ihre Anwohnerstraßen genauestens observieren. Pkws mit fremden Kennzeichen melden bzw. Zettel hinter dem Scheibenwischer platzieren mit der Aufforderung, die geltenden C.-Bestimmungen zu respektieren und das Fahrzeug schleunigst zu entfernen, anderenfalls Anzeige droht. (Dabei dürften in Deutschland unzählige Pkws mit ortsfremdem Kennzeichen unterwegs sein. Nennen sich z. B. Dienstwagen.)

Und dass die alten Menschen in den Heimen, die nicht besucht werden dürfen, großes seelisches Leid erfahren. Seit Wochen warten sie vergeblich auf den Besuch ihrer Familien. Und manchen von ihnen, weil dement, ist noch nicht einmal begreiflich zu machen, warum sie allein bleiben.

Dagegen ist meine eigene Situation „ein Klacks“. Ja, C. hat meinen neuen Job geschreddert, und ja, ich vermisse die Familie meiner Tochter samt Enkel. Sehr sogar.

Gerade lese ich, dass die Kontaktsperre bis mindestens 3. Mai 2020 aufrecht erhalten werden soll. Vorschlag der Bundesregierung.

Glaubte ich an eine höhere Macht, würde ich wahrscheinlich beten. Lieber Gott mach, dass bald wieder Normalität einkehrt. Nur: Wie wird diese dann aussehen? Werden die Menschen, jetzt Kurzarbeiter oder arbeitslos geworden, in ihre Firmen zurückkehren können? Werden die Unternehmen trotz zweimonatiger Pause an ihren Jahreszielen festhalten und die notwendig gewordene Komprimierung der Arbeitsaufgaben auf dem Rücken ihrer Arbeitnehmer austragen? Wie vielen Unternehmen und Selbstständigen wird der Ausnahmezustand den Garaus gemacht haben? Nur drei Fragen von vielen.

Hier die aktuellen Zahlen Sachsens und Dresdens von heute, dem 15. April 2020 (der erste C.-Fall wurde am 2. März 2020 registriert):

Sachsen:  4.028 positiv auf SARS CoV-2 getestete Personen, 67 Todesfälle. Etwa 2.200 auf SARS CoV-2 positiv getestete Personen sind wieder genesen.

(Rückblick 24. März: 1.018 positiv auf SARS CoV-2 getestete Personen, 6 Todesfälle)

Dresden:  497 positiv auf SARS CoV-2 getestete Personen, 4 Todesfälle

(Rückblick 24. März: 169 positiv auf SARS CoV-2 getestete Personen, 2 Todesfälle)

Einwohnerzahl Sachsen (2018): 4.081.000
Einwohnerzahl Dresden (2019):    563.011

Wenn meine Rechnung stimmt, sind das für Sachsen gegenwärtig 0.099% positiv getestete Personen (24. März: 0,025%) und für Dresden 0,088% positiv getestete Personen (24. März: 0,030%). Die Dunkelziffer dürfte nach wie vor höher liegen, da nur vergleichsweise wenige Personen getestet wurden.


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