Die Überschrift mag provokant sein
und Ihr dürft mich nach dem Lesen des Blogbeitrags gern für hoffnungslos altmodisch
halten. Zweifellos sind die Ansichten, die ich vertrete, auch durch
Geburtsjahrgang (weit vor dem elektronischen Zeitalter) und Geschlecht (Frauen erliegen
dem Faszinosum Technik nach meiner Erfahrung nicht so leicht und umfassend
wie Männer) geprägt. Dennoch scheint mir das Thema eine Überlegung wert.
Ich habe hier einmal fünf technische
Anwendungen unter die Lupe genommen, die bei gewohnheitsmäßiger Benutzung dazu führen, dass wir
Potential, über das wir körperlich/geistig/sinnlich grundsätzlich verfügen, aus
der Hand geben bzw. reduzieren.
1. Speichernutzung vs. Merkfähigkeit
Vor einigen Jahren fiel mir auf, dass ich seit dem
Zeitpunkt, da ich ein I-Phone mein Eigen nannte, kaum noch Telefonnummern
auswendig wählen konnte; vorher waren es nahezu alle Nummern jener Menschen, mit denen ich regelmäßig telefonierte. Diese Erkenntnis löste damals
bei mir einen intensiven Denkprozess aus, der dazu führte, dass ich
beschloss, künftig alle Nummern, die mir wichtig waren, wieder manuell ins
Handy einzutippen anstatt sie über „Kontakte“ auszuwählen.
Inzwischen habe ich
die Telefonnummern meiner Familie und engsten Freunde wieder im Kopf.
Und zwinge mich auch zu der Disziplin, sie jedes Mal wieder aufs Neue manuell
einzugeben, um sie dort zu behalten.
Meine Theorie: Die bequeme Gewohnheit, Infos nur noch aus „externen
Speichern“ abzurufen, reduziert unsere Merkfähigkeit.
Haben wir früher vor einer Fahrt nach nah oder fern noch Stadtplan oder Landkarte konsultiert, geben wir heute nur noch die Zieladresse ins Handy oder Navi ein, um anschließend der Stimme zu vertrauen, die uns sagt: Folgen Sie der Straße weitere x Meter, biegen Sie rechts/links ab, nehmen Sie die nächste Ausfahrt etc. pp. Oft, ohne eine konkrete Vorstellung davon zu haben, wo „in der Landschaft“ bzw. in welcher Umgebung wir uns befinden. Mit Banalitäten wie Straßennamen oder markanten Orientierungspunkten auf der Strecke befassen wir uns längst nicht mehr. Was spätestens dann ärgerlich wird, wenn plötzlich eine kurzfristige Straßensperrung oder Umleitung auftaucht, die das schlaue Navi nicht kennt und uns immer wieder stur auf die nicht befahrbare, weil gesperrte Strecke zurücklotst. Wahrscheinlich noch unangenehmer: mit der Familie per Wander-App im Wald unterwegs, aber plötzlich kein Netz mehr. Und natürlich kein Mensch in Sicht, den man fragen könnte. Was nun?
Ich selbst werfe vor Stadt- oder Überlandfahrten zusätzlich
immer noch einen Blick in die Karte, um eine ungefähre Vorstellung zu
bekommen, wo mein Zielort liegt. Weil das gewohnheitsmäßige
Verlassen auf Navigationshilfen den Orientierungssinn abstumpft; die Fähigkeit,
eine Karte zu interpretieren inbegriffen.
3. Einparkhilfe vs. Tiefenwahrnehmung
2006 führte Volkswagen - nach eigenen Angaben als erster
Automobilhersteller der Welt – den Parklenkassistenten ein. Inzwischen ist
die Einparkhilfe für Pkws nahezu Standard. So wie wir uns früher beim Einparken
nauf unsere Sinne verlassen haben, vertrauen wir heute elektronischen Signalen, Warntönen, die mit abnehmender Distanz zu benachbarten Objekten schneller werden, bis sie - Gefahr im Verzug! - in einen Dauerton münden. (Ich selbst fahre einen Fast-Oldtimer und bin
dankbar dafür, dass mir dieses durchdringende Piepen erspart bleibt – möglicherweise
liefe ich Gefahr, eben wegen dieser Warntöne mein Auto beim Einparken irgendwo
anzusetzen, weil vollkommen entnervt. :D)
Was wir hierbei verlieren bzw. reduzieren, ist der Sinn, der
sich Tiefenwahrnehmung nennt = Wahrnehmung von Räumlichkeit und Tiefe. Er ist es, der uns befähigt, Gegenstände mehrdimensional wahrzunehmen und unsere Entfernung zu
anderen Objekten einzuschätzen, damit auch: Distanz zu halten. Dieser Sinn schließt nicht
nur den eigenen Körper ein, sondern auch jene Gegenstände, mit
denen wir uns regelmäßig durch "den Raum" bewegen, sei es ein voluminöser
Rucksack oder eben unser Auto; er verhindert ein Touchieren anderer Objekte.
Eine Untersuchung der HUK Coburg aus 2017 übrigens ergab zur
Einparkhilfe Überraschendes:
4. Klimaanlage vs. körpereigene Thermoregulation
Klimaanlagen sind auf dem Vormarsch, nicht zuletzt durch die länger und heißer werdenden Sommer. Standardmäßig im Auto
und vielen Hotels anzutreffen, werden sie inzwischen auch verstärkt in
Bürokomplexen installiert.
Davon abgesehen, dass es für unseren Körper einen wahren
Temperaturschock bedeutet, an einem heißen Sommertag „tiefgekühlte“ Räume zu
betreten, verlernt er durch die Gewöhnung an die Temperaturregulierung durch
Technik seine Anpassungsfähigkeit an äußere Gegebenheiten. Laut Angela Schuh, Professorin
der Ludwig-Maximilians-Universität München, die zu diesem Thema geforscht hat, kann dieser Trainingsmangel des Körpers außerdem eine generell verstärkte Wetterfühligkeit hervorrufen, die mit körperlichen und psychischen
Symptomen einhergeht.
Nehmen wir unserem Körper die Temperaturregulation permanent
ab, verringern wir die körpereigene Thermoregulation.
5. Taschenrechner vs. Zahlenverständnis/Logik
Ich war erstaunt, als ich kürzlich erfuhr, dass der
Taschenrechner heute bereits in Grundschulen benutzt wird, hatte ich doch angenommen,
dass zumindest die ersten Schuljahre dem sattelfesten Erlernen von Kopf- und
schriftlichem Rechnen dienen. Vielleicht auch, weil ich das Grundverständnis für Zahlen, Rechenoperationen und mathematische Zusammenhänge in Privatleben und Beruf für
unverzichtbar halte.
Ein Taschenrechner kann zwar ein
Ergebnis liefern – auf Grundlage welcher Zusammenhänge es jedoch entstanden ist
bzw. ob überhaupt plausibel, bleibt im Dunklen. So wird jemand ohne grundlegendes
Zahlenverständnis z. B. kaum registrieren, wenn der Taschenrechner ein
falsches Ergebnis zeigt, entstanden durch schlichtes Vertippen.
Threads im Internet zeigen, dass auch viele Schüler den gewohnheitsmäßigen Einsatz des Taschenrechners selbst bei simpelsten Rechenoperationen kritisch sehen, weil sie feststellen, dass sie dadurch vorher abrufbare mathematische Kenntnisse peu a peu wieder verlieren bzw. Kopfrechnen ihnen immer schwerer fällt.
Der grundsätzliche Gebrauch des Taschenrechners führt zum Abbau von Zahlenverständnis
und Logik. (Bzw. dazu, dass beides sich von vornherein nicht adäquat entwickeln kann.)
Die Reihe technischer Anwendungen, an die wir uns ursprünglich zur Verfügung stehende, selbstverständlich abrufbare Fähigkeiten und Kompetenzen delegieren,
ließe sich zweifellos fortsetzen. Und die Gründe dafür liegen auf der Hand: Komfort (oder einfach: Bequemlichkeit?) und Zeitersparnis.
Aber: "Use it or loose it"... benutzen wir unsere körperlichen, kognitiven, sinnlichen Fähigkeiten zunehmend weniger, verkümmern sie. Ich für
meinen Teil möchte versuchen, mir wenigstens ein Stück weit Unabhängigkeit zu bewahren - einfach, indem ich von Fall zu Fall entscheide, ob ich die Möglichkeiten der Technik nutze oder mich lieber auf meine "systemimmanenten Ressourcen" besinne.
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