Diese Schilderung, wie sich eine
Depression „von innen“ anfühlt, war nie als Blogbeitrag vorgesehen, weil zu persönlich. Ich habe sie im vergangenen Jahr verfasst, in dem
Versuch, einem Außenstehenden zu erklären, warum „zusammenreißen“ nicht funktioniert,
wenn man mitten in einer depressiven Episode steckt, obwohl man sich nichts
sehnlicher wünscht, als genau dafür die Kraft - den Biss - zu haben.
Den Ausschlag dafür, den Text nun
doch zu veröffentlichen, gab ein Facebook-Post, mit dem via
Crowdfunding für ein Buchprojekt unter dem Namen „Nicht gesellschaftsfähig“
gesammelt wird. Crowdfunding #nichtgesellschaftsfähig Und der mir klargemacht hat, dass
es da draußen immer noch viele gibt, die das Abtauchen in eine Depression für eine
Art Charakterschwäche verbunden mit mangelnder Disziplin halten.
Depression ist, wenn:
- du morgens aufwachst und dich
augenblicklich gehetzt und unter Druck fühlst in dem Wissen, deine Welt auch
heute wieder nicht retten zu können - jeder neue Tag schon am Morgen verloren
scheint. Wenn du am liebsten im Bett bleiben möchtest, um dich vor dem Tag, den
du nicht willst, zu verkriechen
- du nur aus dem Haus gehst, wenn
es absolut unvermeidbar ist. Weil gähnende Leere im Kühlschrank herrscht oder das Katzenfutter zur Neige gegangen
- du stundenlang darüber
nachdenkst, ob du jemanden anrufen solltest und es letztlich verwirfst, weil du
dich deiner Schwäche, deines peinlichen mentalen Zustands schämst und damit niemanden
belästigen willst
- du dich erschöpft bis auf die
Knochen fühlst und dir selbst die kleinste Tätigkeit Mühe bereitet und sogar bereits
das Darüber-Nachdenken. Wenn dir die winzigsten daily tasks als
unbezwingbares Gebirge erscheinen
- du erst zum Gießen in den
Garten gehst, wenn du sicher sein kannst, dass deine Gartennachbarn schon beim
Abendessen daheim sitzen, weil du niemandem begegnen willst
- du so dünnhäutig bist, dass dich
schon das kleinste Missgeschick im Handumdrehen so aus der Bahn wirft, dass du
schreien und toben möchtest, obwohl du dir vorgenommen hattest, dich heute
zusammenzureißen und diesen Tag durchzuziehen
- dir nichts mehr einfällt, was dir
Freude bereiten könnte
- du denkst: Was soll das alles noch?
Aber immerhin sind deine Katzen auf dich angewiesen
- du dich selbst verletzen
möchtest, weil du dich verachtest und für deine
unwürdige Verfassung bestrafen willst. Oder ein Ventil brauchst – eine
Empfindung, in diesem Falle Schmerz -, die dich für kurze Zeit von deiner
Verzweiflung ablenkt
- dein Vertrauen in die Zukunft, deine
Zuversicht weit im Minusbereich liegen in dem sicheren Wissen, dass es einige
negative Dinge gibt, die sich mit großer Sicherheit ereignen werden, wohingegen
das Eintreten positiver Ereignisse bestenfalls 50:50 beträgt
- deine negativen
Gedankenspiralen dir jegliche Kraft rauben
- du das Gefühl hast, dich in
Deinem Leben ausweglos verrannt zu haben und nichts je wieder in Ordnung kommen
wird
- dir beim kleinsten Anlass eine
Angstfaust in den Bauch fährt, die dich kaum noch atmen lässt
- du in nichts mehr Sinn findest,
dir bei allem Tun zuallererst das Wörtlein „sinnlos“ einfällt, du das Leben als
sinnlosen Kreislauf empfindest
- du nur isst, weil Dein Körper
sonst mit Kopf-, Bauchschmerzen oder Übelkeit reagiert
- dir absolut alles ein „Muss“
bedeutet
- du dich auf der Straße am
liebsten dem nächstbesten Fremden in die Arme werfen möchtest und rufen: Bitte
hilf mir. Bitte rette mich. Wissend, dass niemand dich retten kann außer du dich
selbst
PS. All dies konnte ich heute kühlen
Blutes lesen, überarbeiten. Es wühlt mich nicht mehr auf, da ich sicher bin,
meine Depression gehört endgültig der Vergangenheit an. Vielleicht, weil mir mein Leben
2019 so viele Tiefschläge in so kurzer Folge präsentiert hat, die ich alle
gemeistert habe, dass mein Kopf beschlossen hat, felsenfest daran zu glauben: Es geht immer weiter. Es wird, wenn die dunklen Wolken vorbeigezogen sind, wieder richtig gute Tage geben. Voller Glücksgefühle und überschäumender Fröhlichkeit. Und weil ich mich inzwischen stärker fühle denn je. Stark genug, allen
unerbetenen "Überraschungen" die Stirn bieten zu können und daran zu wachsen. Mechanismen gefunden habe, mit Ungemach besser - gelassener - umzugehen.
Im übrigen spiegelt meine Schilderung nur wider, was ich empfunden habe; ich halte sie nicht für allgemeingültig. Und bin mir darüber im Klaren, Außenstehenden das Krankheitsbild Depression wahrscheinlich auch mit noch so eindringlichen Worten nicht erfassbar machen zu können: Wer’s nicht kennt, dem entzieht sich – glücklicherweise! – das vollständige Begreifen dieser dunklen mentalen Verfassung, im Englischen auch „schwarzer Hund“ genannt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen