Im Moment kräht kein Hahn nach mir. Jedenfalls nicht am frühen Morgen. Das kleine rosa-goldene Hähnchen auf der Truhe neben meinem Bett tickt zwar unbeirrbar seine 86.400 Sekunden täglich, aber Kikerikiii? Nö. Ohnehin ist mein innerer Wecker nach 38 Arbeitsjahren zuverlässig wie eh und je. Weckt mich, ziemlich unabhängig von der Schlafenszeit am Vorabend, zwischen fünf und sechs Uhr dreißig. Manchmal leider, wenn ich doch eigentlich ausschlafen könnte. Oder sollte, weil ich - ausnahmsweise, da eigentlich Morgenmensch - die Nacht zum Tag gemacht habe.
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Sieben Monate bin ich jetzt daheim und damit überraschend und unerwartet lang. Hatte ich doch nicht ansatzweise erwartet, dass sich meine Auszeit vom Abhängig-beschäftigt-Sein bis in den Sommer hinein ausdehnen würde. Und obwohl ich den Umstand, derzeit meine eigene Herrin zu sein, noch immer auch als luxuriöses Geschenk begreife, erfordert er gleichzeitig eine gute Strategie für jeden einzelnen Tag. Genannt Struktur.
Johann Wolfgang von Goethe wird das Zitat zugeschrieben: „Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande.“ Übertragen auf meine Situation heißt das: Finde ich morgens nicht zügig in den Tag, droht er mir wegzurutschen und des Abends: Unzufriedenheit.
Als denkbar ungünstigsten morgendlichen Einstieg habe ich inzwischen definiert: Social-Media-Seiten, Recherche innen- oder außenpolitischer Nachrichten (und wann wären diese je positiv?), lange Telefonate oder die kritische Betrachtung meiner To-do-Liste, die ob der Vielzahl an Vorhaben leicht zu einer Ansammlung von Bäumen gerät, hinter der ich den Wald nicht mehr sehe. Woraufhin das wohlbekannte „Leg dich lieber wieder hin“-Gefühl droht und damit quasi die Kapitulation vor’m Tag.
Ein gelingender Tag steht immer dann in Aussicht, wenn ich sofort aus den Startlöchern komme: Duschen, Meditation und/oder Sport, Frühstückchen und dann dem gewidmet, was ansteht. Das Schwierigste und/oder Unangenehmste am besten zuerst. Letzteres sind im Moment mit Abstand meine Bewerbungen - dieses sich bis zum Überdruss wiederholende Marketing in eigener Sache mit zweifelhaftem Erfolg. Aber wat mut, dat mut, wie die Nordlichter zu sagen pflegen. Ist das absolviert, winkt der angenehme Teil des Tages.
Bin ich allerdings so richtig im Arbeitsfieber, ist es manchmal nur ein Schrittchen hin zum Abarbeitungswahn, über dem ich Essen und Trinken vergesse. Die Pausen sowieso. Bekanntlich ist man selbst sein bester Antreiber. Und bekanntlich ist selbst dann am Ende des Tages selten alles getan. Schon, weil die kleinen und großen Aufgaben und Vorhaben schneller nachwachsen als das Barthaar auf einem frisch rasierten Männergesicht.
Richtig wichtig: abends bewusst zu registrieren, was ich geschafft habe und mir dafür symbolisch auf die Schulter zu klopfen anstatt über‘s Unerledigte zu grummeln. Sonst war der ganze schöne Fleiß für die Katz, weil das Erfolgserlebnis ausbleibt.
Glücklicherweise gelingt mir eine vernünftige Mischung aus Pflicht und Kür inzwischen immer besser. Vielleicht auch, weil ich „kampferprobt“ bin, bereits 2016 während einer längeren Auszeit gelernt habe – lernen musste -, meine Tage sinnvoll zu strukturieren. Auf einem entspannten Level heißt das: mindestens eine der anstehenden Aufgaben zu meistern und sei sie noch so klein (ohnehin verschätzen wir uns in punkto Zeitbedarf fast immer zu unseren Ungunsten) + mindestens eine Sache zu tun, die einzig und allein meinem Wohlgefühl dient, sei es nun lesen, radeln, gärtnern, Freunde treffen oder schlicht: Nichtstun. Dabei ist letzteres leichter gesagt als getan so ganz ohne schlechtes Gewissen. Ein Lernprozess, bei dem ich noch immer in den Kinderschuhen stecke, hat doch Faulenzen in einer Gesellschaft, die die Maxime "Carpe diem!" dahingehend interpretiert, sich unablässig beschäftigt zu halten, oft einen negativen Beigeschmack.
Meine Faustregel lautet also 1 + 1. 1x Notwendiges + 1x Schönes. Alles darüber hinaus kann, muss aber nicht. Ohnehin fordern immer auch Alltagskram und Ungeplantes ihren Tribut – etwas, das wir selten in Rechnung stellen. Mit dieser Regel bleibt auch dafür (Puffer-)Zeit.
Aber wie es mit Regeln nun mal so ist – keine ohne Ausnahme. Und so bin ich heut Morgen zwar mit den besten Vorsätzen erwacht, dann aber hat mein innerer Schweinehund übernommen. Lief bis zum Frühstück (Empfehlung: Yoghurt mit gerösteten Walnüssen und Honig!) noch alles nach Plan, bin ich anschließend übergangslos in den Trödelmodus geglitten. Ein Reisetagebuch gelesen, YouTube-Filmchen über exotische Meeresbewohner und Papageientaucher inhaliert, geschlafen, meine Miez geschmust, bis es - ups! – plötzlich 19 Uhr war. Mayday Mayday! Tag retten! Was ich - auch darin geübt - hiermit getan hätte.
Während dieser späten Rettungsaktion habe ich ordentlich in mich hineingekichert: Gestern Abend „Struktur, Baby!“ zu schreiben begonnen und schon am nächsten Morgen lasse ich alle fünfe gerade sein... Ok. War diesmal also nix mit positiver Selbstkonditionierung.
Und doch haben, so lang man nicht der chronischen Verschieberitis anheimfällt, auch die faulen Tage ihre Berechtigung, weil sie Körper, Geist und Seele auspendeln lassen. Wie überall im Leben macht’s auch hier die Dosis.
„An sich ist Müßiggang durchaus nicht eine Wurzel allen Übels, sondern im Gegenteil ein geradezu göttliches Leben, solange man sich nicht langweilt.“
Danke, Søren Kierkegaard ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Carpe_diem
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