Sonntag, 23. August 2020

Leserattenfutter: Greta Taubert - Guten Morgen, Du Schöner

Während sich draußen leise der Sommer verabschiedet, möchte ich Euch ein besonderes - und brandneues - Büchlein ans Herz legen. Greta Taubert hat in Ostdeutschland geborene Männer porträtiert, mit ihnen über ihre Erinnerungen, Prägungen, Werte und Lebensentwürfe gesprochen. Entstanden ist eine wunderbare Liebeserklärung an den ostdeutschen Mann.

In Idee und Form inspiriert sind Greta Taubers Aufzeichnungen durch das Buch der unvergessenen Maxi Wander „Guten Morgen, Du Schöne“, in dem sie Frauen aller Altersstufen und unterschiedlichster Herkunft freimütig über ihr Leben in der DDR erzählen ließ. 1977 erschienen, war es ein wahres Kultbuch für meine Freundinnen und mich, weil es die Realität spiegelte. Ein unübertroffenes Zeitdokument noch heute. Und so stellt die Autorin ihrem Buch auch ein Zitat Maxi Wanders voran:

 „Nicht gegen die Männer können wir uns emanzipieren, sondern nur in der Auseinandersetzung mit ihnen. Geht es uns doch um die Loslösung von alten Geschlechterrollen, um die menschliche Emanzipation überhaupt.“

Die oberflächliche und überwiegend einseitig gefärbte Berichterstattung über Ostdeutschland hat nach 1989 dazu geführt, dass dem ostdeutschen Mann der Ruch anhaftet, mehrheitlich rückwärtsgewandt, wenn nicht reaktionär, etwas schlicht und generell in Denken und Leben wenig flexibel zu sein. Der enttäuschte Verlierer, dessen Verbitterung sich gegen alles und jeden richtet, der am liebsten das Rad der Geschichte zurückdrehen möchte und jeglicher Veränderung skeptisch bis feindselig gegenübersteht. Ein Klischee wurde etabliert und im Zuge der jahrzehntelangen Ossi-Schelte, die leider nach wie vor im Trend zu liegen scheint, verfestigt.  

Greta Taubert, Jahrgang 1983 und gebürtige Leipzigerin, stellt diesem Zerrbild ihre Erfahrungen gegenüber, indem sie Ostmänner – von ihr „meine Ossiboys“ genannt - zu Wort kommen lässt. Genauer gesagt: sechzehn zwischen 1971 und 1986 in Ostdeutschland geborene Männer, zum Zeitpunkt der Interviews also zwischen 33 und 48 Jahre alt, wenn meine Rechnung ungefähr stimmt. Eher zufällig „dazwischen gerutscht“, weil Vater eines Interviewpartners, auch ein Mann aus dem 1960er Jahrgang.

Ihre Berufe – Künstler, Lehrer, Polizist, Lkw-Fahrer, Unternehmer, Bürgermeister, Hotelmanager, Friseur, Kfz-Mechaniker, Callcenter-Berater – und Lebenswege könnten unterschiedlicher nicht sein und dennoch ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Interviews auffallend ähnliche Grundwerte und Lebensphilosophien.

Beispielsweise Bescheidenheit - „Erst machen, dann reden“ – und das Fremdeln gegenüber jeglicher Selbstdarstellung. Einer von ihnen sagt: "Vielleicht ist das etwas, das diesen Ostmann ausmacht, dass er nicht die Klappe aufreißt und sagt: Tadaa, da bin ich! Ein Ossiboy, wie Du ihn nennst, würde ja nie sagen: Ich bin der neue Mann, guck mal, wie toll wir das hier machen. Sollteste dir vielleicht mal ‘ne Scheibe abschneiden. Auch wenn es vielleicht stimmt.“ Ein anderer: „Wir sind nicht diese bunten Gestalten aus der ersten Reihe, nicht die Protze oder Exzentriker. Wir sind oft die ehrlicheren Arbeiter.“

Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und damit verbunden die Arbeitsteilung in Kinderbetreuung und Haushalt. Nicht als Entgegenkommen, sondern als selbstverständliche Normalität. Für den einen oder anderen ist auch der Part des Hausmannes denkbar, wenn Frau beruflich reist. Ostmänner wünschen sich starke Frauen - der Wunsch nach einer emanzipierten Partnerin auf Augenhöhe zieht sich durch alle Interviews. Zitat: „Meine Ansprüche an meine Partnerin sind deshalb auch ziemlich hoch. Ich will mich mit jemandem auf Augenhöhe unterhalten können, diskutieren, gemeinsam Probleme und Herausforderungen angehen. Eine Frau, die nur Kissen besticken will, ist nichts für mich. Man muss doch etwas wollen im Leben!“ Ein anderer Interviewpartner fasst es mit den Worten "Ich möchte die Welt mit meiner Frau teilen" zusammen.*

Empathie und Hilfsbereitschaft. Zitat: „Meiner Tochter möchte ich alles Schöne und dieselbe Liebe weitergeben, die ich von meinen Eltern und im Leben erfahren habe. Wenn du jemanden siehst, der Hilfe braucht, dann biete sie an. Das muss kein großes Opfer sein, sondern einfach eine Geste. Ich erinnere mich daran, dass ich als Pionier ein Heftchen hatte, in das immer etwas eingetragen wurde, wenn man jemandem geholfen hat. Tasche hochtragen oder so. Aber ich hab das nicht nur dafür gemacht. Heute sind die Zeiten anders, aber ich finde Hilfsbereitschaft immer noch gut. Es geht doch so oft genau darum: um diese Gesten, die uns zusammenhalten.“

Was die Interviewpartner Greta Tauberts ebenfalls vereint, sind immer auch Improvisationstalent angesichts wechselnder Lebensumstände und der Wille, unabhängig vom gesellschaftlichen Wandel den eigenen Grundsätzen treu zu bleiben. Menschliches Miteinander zählt ihnen mehr als Karriere; Fairness und Zuverlässigkeit mehr als Erfolg. Eher Zurückhaltung und Understatement als Imponiergehabe. Sein anstatt Schein - heute fast ein Anachronismus. 

Kann ich die Erfahrungen Greta Tauberts mit ihren "Ossiboys" aus eigenem Erleben bestätigen, wenn auch einer anderen Generation angehörend? Jawohl, das kann ich. Und so war es mir eine Freude zu lesen, wie leidenschaftlich die Autorin eine Lanze für den ostdeutschen Mann bricht. Den es zwar als absolut homogene Spezies nicht geben mag und der doch in der Mehrzahl und bisher generationsübergreifend Werte lebt, die mir vertraut sind und die Schule machen sollten. 

Nicht neue Männer braucht die Welt – sie sind längst schon da.  


*PS. Die von mir empfundene selbstverständliche Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern in der DDR ist auch der Grund, warum ich mich bis heute nur schwer für das Thema Feminismus erwärmen kann. Weder in Beruf noch Privatleben wurde mir damals je das Gefühl vermittelt, ich sei in irgend einer Weise benachteiligt oder mir würde eine Rolle zugewiesen. In Berührung mit einem antiquierten Frauenbild kam ich erstmals 1991 während meines Jobs für einen Büroservice, als mir ein Herr aus den alten Bundesländern mitteilte: "Frau Jänich, wenn Sie diskutieren, verlieren Sie Ihren ganzen weiblichen Charme." Aha ...



 

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