Montag, 5. April 2021

Frühling im Sinn

Während sich das ach so vernunftbegabte Menschengeschlecht alljährlich in rasant zunehmendem Tempo weiter von seinen ursprünglichen Wurzeln und Grundbedürfnissen entfernt, um in künstlich geschaffenen Realitäten künstlich geschaffenen Bedürfnissen zu huldigen, folgt die Natur unbeirrt ihren jahrtausendealten Instinkten und dem Lauf der Jahreszeiten. 

Tröstliche Beobachtungen aus einer Welt, weit vernünftiger und wohl deshalb: weit heiler als die unsere. Und heilsam. Für jeden, der sich offenen Sinnes in sie hineinbegibt. 

Vogelnest

Morgendliches Erwachen, im Ohr das vielstimmige Vogelkonzert. Ein Amselmännchen schickt seine Triller durch die Dunkelheit und auch der Chor der Spatzen ist längst munter. Hinten im Garten schlagen die Eichelhäher Alarm, weil der schwarz-weiße Kater seine erste Runde dreht. Als die Morgendämmerung einsetzt, kann ich vom Balkon aus sehen, wie sich die Korkenzieherweide ihre zartgrünen Locken wachsen lässt. Auch der Fliederstrauch treibt schon kräftig aus. Schon jetzt freue mich auf den Duft seiner Blüten an warmen Frühlingsabenden. Nahebei ein Aprikosenbäumchen in weißer Blütenpracht. 

Über’s Haus hinweg segeln zwei Wildenten, um gleich darauf zur Landung am Bachlauf anzusetzen. Nach den niederschlagsreichen Vormonaten führt er zum ersten Mal seit drei Jahren wieder Wasser. Als Brutrevier eignet er sich wohl dennoch nicht, sind doch hier zu viele Jäger auf leisen Pfoten unterwegs. 

Die Wäschewiese gehört morgens den flink trippelnden Staren. Heut hab ich ihnen ein Extra-Frühstück im Gärtlein serviert, weil die Aprilnächte noch einmal empfindlich kalt geworden sind -  die oberste Schicht des Bodens gewiss noch gefroren, bis die Sonne um’s Haus herumgewandert ist. Auf der Amsel-Drossel-Star-Speisekarte Haferflocken in Olivenöl und Rosinen. Als ich den Garten betrete, flüchten sich Meisen und Spatzen zeternd in den Kirschbaum. Sorry, Jungs und Mädels … wollte nur Futter nachladen.

Mein Blick schweift zum Igelhaus und trifft auf das ratzekahl leergefressene Futterschälchen. Als echter Schweinigel hat es mein stachliger Quartiergast nach der Mahlzeit kurzerhand zur Toilette umfunktioniert. Immerhin weiß ich nun, dass er seinen Winterschlaf beendet hat. Ich wünsch‘ mir für dieses Jahr Igelkinder …

Ordentlich gerupft kommen seit Neuestem die federzarten Wedel meiner asiatischen Ziergräser daher. Kein Wunder - die Schar der Spatzen polstert damit ihre Nester, auf dass es der Nachwuchs kuschlig haben möge. Mit der Aufzucht werden sie sich sputen müssen, halten sie doch die Nistkästen der Mauersegler besetzt. Aber bis zu deren Rückkehr aus den warmen Gefilden bleibt ja noch ein bisschen Zeit. Auch die Kohlmeisen sind fleißig dabei, ihre Nester zu bauen. Eine von ihnen hab ich gestern durch die Balkontür beobachtet. Meine erste Vermutung, als sie auf dem Boden landete - sie sucht Futter. Doch weit gefehlt: Emsig zupfte sie Fädchen für Fädchen aus der Filzmatte vor der Balkontür. 

Habt Ihr schon einmal ein Vogelnest genauer in Augenschein genommen? Es sind wahrlich kleine Kunstwerke, geschickt geflochten aus Zweiglein und Gräsern und ausgepolstert mit allem, was weich ist, ob nun Tierhaare, Federn oder eben Faserchen, die sich irgendwo stibitzen lassen. Ein Geflecht, so filigran wie stabil.

Den Frühling kaum erwarten konnten meine Wildbienen – gleich mit den ersten wärmenden Sonnenstrahlen schwärmten sie aus. Für Futter war bereits gesorgt, hatte doch die Zwerghängeweide ihre üppigen Kätzchen pünktlich erblühen lassen. Während kühler Tage wie grad eben schlüpfen die Bienen vorübergehend wieder in ihre Schilfröhrchen zurück. Zuweilen jedoch wird die eine oder andere Trödlerin von der Abendkühle überrascht und sitzt dann klamm in der Wiese unter’m Bienenhotel, bis ich sie vorsichtig zurück in ihr Quartier setze. Wildbienen sind kein bisschen aggressiv und zudem sehr hübsch anzusehen mit ihrem dunkelorange gefärbten „Plüschpo“, mit dem sie sich deutlich von Honigbienen unterscheiden.

Erstmals habe ich in diesem Jahr ein Hummelhaus gebaut: ein Loch in der Erde, darin drei Schichten: Drainage – Kleintierstreu – Katzenhaar und leicht schräg hineingesetzt ein Blumentopf aus Ton mit dem Boden nach oben (Einflugloch). Darüber ein kleines Holzdach als Regenschutz, fertig. Nun hoffe ich auf eine Hummelkönigin, die dieses Quartier als standesgemäß betrachtet. Vielleicht jene, die neulich dicht über der Wiese flog, auf der Suche nach einer Bleibe?

Zukunftsmusik  – draußen schneit es inzwischen. Ein Grund mehr, gedanklich noch ein klein wenig länger im Frühling zu schwelgen, der auch in diesem Jahr nichts an Zauber vermissen lässt.

In den Gärten ringsum blühen nun nach Schneeglöckchen und Krokussen schon kleine rotspitzige Tulpen, vielfarbige Primeln, Narzissen und Hyazinthen. Darüber das strahlende Gelb der Forsythiasträucher.  Und natürlich – überall in den Wiesen  - die unscheinbaren und doch so hübschen Gänseblümchen. Als Kinder haben wir Kränze und Ketten daraus geflochten. Wie auch aus Löwenzahn, auf dessen gelbe Tupfer in der Wiese ich laut Wettervorhersage wohl noch ein Weilchen warten werden muss.

Vorgestern Abend ein majestätisches Schauspiel am Himmel: Hoch über den Dächern unserer Siedlung der Fischreiher auf dem Heimweg zu seinem Stammsitz, den ich im Großen Garten, dem Stadtpark Dresdens, vermute. Mit weit ausgebreiteten Schwingen flog er dahin und ich folgte ihm mit meinen Blicken, bis er nur noch ein Pünktchen am Horizont war. Erinnerte mich an vergangene Sommer, in denen seine elegante Silhouette allmorgendlich im Wipfel der höchsten Birke am Bach auszumachen war. Vielleicht – so das Wasser im Bachlauf nicht wieder versiegt – kehrt er in diesem Sommer zurück.

Nun jedoch will ich erst einmal mit allen Sinnen diesen Frühling genießen. Dessen schönste Zeit noch vor uns liegt. Als Zeit der Hoffnung, des Werdens. Der Erneuerung. Auch Euch wünsche ich, dass Ihr Kraft schöpft aus all seinen kleinen und großen Gaben und Wundern. Die es nur zu sehen gilt. 


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