Freitag, 22. Januar 2021

Up, up and away – ein Leben auf Reisen/Australien - Südamerika - Afrika - Europa - Asien

Während die meisten von uns die Mehrzahl ihrer Tage festgeschweißt an Schreibtisch und Computerbildschirm verbringen, hat sich eine junge Frau (22) aus meiner Familie für einen ausgesprochenen Gegenentwurf entschieden. Seitdem sie ihr Abi gemacht hat, reist sie durch die Welt und das sowohl privat als auch beruflich - seit Juli 2018 gehört sie als Stewardess zur Crew einer Yacht mit Heimathafen Mandelieu-la-Napoule nahe Cannes an der Côte d'Azur. Ein außergewöhnliches Leben, das neugierig macht. Und so habe ich sie zwischen Weihnachten und Silvester interviewt. Ein Interview in zwei Teilen, der erste hier zu ihrer ganz privaten Reiseleidenschaft. Fortsetzung - Leben und Arbeiten auf einer Yacht - folgt.


Was würdest Du sagen, ist Deine stärkste Motivation zu reisen?

Also ich glaube, für mich ist es einfach diese Neugier, was es denn da draußen alles so gibt. Weißt Du, ich bin 18 Jahre in Deutschland großgeworden, aber Dresden ist zwar schon groß, doch nun eben auch nicht Berlin oder München. Einfach zu sehen, wie groß die Welt tatsächlich ist, was man alles sehen kann, wie die Menschen in anderen Regionen leben, wie deren Kulturen und deren Traditionen sind – das unterscheidet sich ja schon deutlich von Deutschland. Wenn Du einmal Europa verlässt, wird das ja immer intensiver, diese Unterschiede. Es ist wohl grundsätzlich die Neugier darauf, wie Menschen woanders leben.

Eigentlich wolltest Du Dir  nach dem Abi ja nur eine Auszeit gönnen. Dass Reisen Deine Leidenschaft werden würde, hast Du damals noch gar nicht einschätzen können, oder?

Nein. Es ist ja sehr beliebt und es machen viele, dass sie nach dem Abi erstmal ins Ausland gehen und dann mit dem Studium anfangen. Das war bei mir ursprünglich auch der Plan. Vorrangig auch, weil ich nicht genau wusste, was ich denn studieren will, was am besten passen würde. Da kam mir das entgegen. Aber dann vergingen halt die zehn Monate in Australien und kurz bevor ich wieder zurück musste, habe ich gedacht: Ok – ich weiß eigentlich immer noch nicht, was ich jetzt wirklich machen will und finde es vielleicht unterwegs raus. Gleichzeitig war auch die Reiselust geweckt, so dass ich dann gesagt habe, ich mach noch ein zweites Jahr und dann mal schauen. Kurz vor der Heimreise nach dem ersten Jahr war ich auch einfach supertraurig, selbst noch, als ich schon wieder zurück in Deutschland war. Auf einmal wieder zurück in dem Leben zu sein, das man verlassen hatte, ist seltsam, weil man sich fühlt, als hätte man sich selbst total verändert. Man hat so viel erlebt und wenn man zurückkommt, ist eigentlich alles noch genauso wie vorher. Das ist so ein ganz komisches Gefühl, das sich immer wieder einstellt, wenn ich zurück nach Deutschland komme und wieder bei meiner Mutter im Kinderzimmer wohne. Jedes Mal irgendwie abstrakt, so als würde man wieder zur Schule gehen. Es kommt einem vor wie eine Reise zurück in die Vergangenheit.

Hast Du in Australien schon gearbeitet, um die Zeit zu finanzieren? Ist es einfach, dort Arbeit zu finden und kann man davon leben?

Wir haben in Restaurants gejobbt und auf Farmen als Erntehelfer gearbeitet für eine Zeit von sechs Wochen bis zwei Monaten. Es war relativ  einfach, Arbeit zu finden, weil wir ja ein Arbeitsvisum für ein Jahr hatten, also alle offiziellen Papiere, die man zum Arbeiten braucht. Versucht man es unter der Hand, ist es doch noch einmal schwieriger. Klar, man musste viel im Internet suchen und zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Und auch einige Absagen einstecken können. 

Gerade, wenn es um das Ernten auf den Farmen geht, ist Australien fast angewiesen auf die Backpacker, die Rucksacktouristen. Weil es halt auch kein einfacher Job ist, sondern intensive körperliche Arbeit. Wir haben z. B. Limetten eingepackt oder Tomaten geerntet und verpackt. Ich bin vier Tage lang auf allen Vieren von Reihe zu Reihe gekrabbelt, weil die unteren Tomaten ja zuerst geerntet werden müssen. Auf der Limettenfarm wurde man pro Karton bezahlt; das war finanziell eher unterer Durchschnitt. Auf der Tomatenfarm wurde nach einem Stundensatz bezahlt, 16 australische Dollar, umgerechnet ca. 10 – 12 € pro Stunde. Ein gutes Gehalt, wenn man auch sehen muss, dass Australien schon teuer ist; die Lebenshaltungskosten sind höher als hier. Auf der Limettenfarm hatten wir Kost und Logis frei, aber wir haben in unserem eigenen Zelt gewohnt und nur deren sanitäre Anlagen genutzt. Auf der zweiten Farm ebenso, allerdings sind wir dort Selbstversorger gewesen.

Wo warst du schon überall? Kannst du deine Etappen einmal chronologisch aufzählen?

Also zuerst in Australien für ein Jahr. Dann bin ich zurück nach Deutschland gekommen, aber relativ schnell wieder losgeflogen – diesmal nach Namibia, weil ich in Australien auf der Tomatenfarm jemanden aus Namibia kennengelernt hatte, der meinte: Du warst noch nie in Afrika - wenn Du Lust hast, komm mich besuchen, wir machen einen Roadtrip. Hab ich dann auch gemacht. Ich war also höchstens einen Monat zu Hause in Dresden und dann sechs Wochen in Namibia. Zwei Wochen davon sind wir mit dem Auto durch den Norden Namibias gefahren, waren in verschiedenen Nationalparks, haben ein bisschen Safari gemacht. Einen Monat hab ich dann noch in Swakopmund gelebt, einem relativ kleinen Ort an der Küste, der sehr von der deutschen Kultur geprägt ist, weil Namibia eine ehemalige deutsche Kolonie war und dort tatsächlich viele Deutsche leben, die ausgewandert sind. Selbst die Architektur erinnert sehr an Deutschland. Und es gibt deutsche Bäckereien, es ist insgesamt sehr deutsch dort.

Ursprünglich hatten wir auch noch geplant, nach Kapstadt zu reisen. Mein Bekannter hatte mir ganz viel von Kapstadt und Südafrika erzählt, auch dass es dort viele Festivals und Parties gäbe, man das einfach gesehen haben muss. Aber das Geld ging mir aus und so musste ich erst einmal nach Hause, um dort drei Monate zu arbeiten und bisschen Geld anzusparen. Ich habe also für drei Monate Vollzeit in einer Bäckerei gearbeitet und wirklich alles gespart, was ich sparen konnte. Bin dann Anfang Dezember nach Kapstadt. Vorher hatte ich auf der Plattform "work away" recherchiert – dort kann man Gastgeber finden, die dir im Austausch für die Arbeit Unterkunft und Verpflegung geben. Dort hab ich ein Hostel gefunden direkt im Stadtzentrum von Kapstadt, was natürlich perfekt war. Sie haben jemanden gesucht, der sich um die Hündin der Hostelbesitzerin kümmert. Das war alles, was sie wollten. Jemanden, der täglich mit ihr rausgeht, weil die Besitzerin keine Zeit hat, sie kümmert sich ja um das Hostel. Der Hund war ein American Staffordshire, also ein richtiges Kraftpaket, und in der großen Stadt musst Du natürlich erstmal schauen, wo Du mit ihm unterwegs sein kannst. Dann brauchten sie auch jemanden, der ihn badet und füttert und da ich sowieso mit Hunden großgeworden bin, dachte ich: Hey, Das ist perfekt, das krieg ich hin! 

Ich bin dann dahin und das war super. Kapstadt, das würde ich immer noch sagen, war wirklich die beste Zeit, die ich je hatte. Ich bin Anfang Dezember hingeflogen und tatsächlich auch erst Ende Mai zurück. Geplant waren drei Monate, geblieben bin ich für sechs. Weil ich mich in Kapstadt verliebt hab, es ist einfach so eine atemberaubende Stadt. Ich hab seither nichts Gleichartiges erlebt, auch weil Südafrika ja so ein richtiger melting pot von Kulturen ist, da kommen so viele verschiedene Kulturen und Sprachen und Traditionen zusammen. Es ist super international. Viele Schüler aus ganz Afrika, Nordafrika und Zentralafrika kommen, um in Kapstadt zu studieren und dazu natürlich Touristen von überall aus der Welt. Noch dazu ist Kapstadt eine wahnsinnig schöne Stadt. Tatsächlich kommst Du innerhalb von 20 Minuten von den Bergen zum Strand, zum Meer - es ist alles beieinander. Ich hatte wirklich die beste Zeit ever in diesem Hostel. Dort habe ich auch einige meiner engsten Freunde kennengelernt und mittlerweile habe ich Freunde auf allen Kontinenten, die ich dann auch gern mal besuche. Weil ein Hostel natürlich die optimale Gelegenheit ist, Leute von überall kennenzulernen.

Zwischenfrage: Wie hast du die Kriminalität in Afrika erlebt, hast Du Dich dort manchmal gefährdet gefühlt? Der Blick von außen auf Südafrika ist ja so, dass dort eine ziemlich hohe Alltagskriminalität herrscht, gerade auch gegenüber Frauen.

Ich persönlich hab mich dort nie unsicher gefühlt. Ich hatte mich dort so eingelebt, dass ich quasi auch adaptiert habe, wie man sich verhalten muss. Und mich selber fast gefühlt wie ein „Local“ nach ein paar Monaten. Ich muss dazusagen: Man muss schon vorsichtig sein. Gerade als Frau sollte man nachts in bestimmten Gegenden nicht herumlaufen. Genau wie in anderen großen Städten gibt es dort Stadtbezirke, in denen es sicherer ist und solche, in denen man sich nicht allein aufhalten sollte. Prinzipiell kann man sagen, dass es tagsüber sicher ist. Ich bin oft allein unterwegs gewesen, das ist überhaupt kein Problem und es sind meist viele Leute unterwegs und die sind auch wahnsinnig hilfsbereit, falls Dir da tatsächlich irgendwas passiert. Normalerweise kommt dann direkt jemand und fragt, ob er helfen kann. 

Nachts bin ich auch ein paar Mal rumgelaufen, würde es aber nicht empfehlen. Da kann dir einiges passieren. Ich hatte aber Glück und nur zwei Handys verloren; das war Taschendiebstahl und niemand wurde dabei verletzt. Tatsächlich hab ich aber auch schon schlimme Stories gehört von Leuten, die mit dem Messer bedroht oder im Taxi ausgeraubt wurden. Südafrika ist definitiv nicht eines der sichersten Länder, aber mit ein bisschen Menschenverstand und Vorsicht lässt sich einiges umgehen.

Wie ging es nach Kapstadt weiter?

Dort bin ich auf die Idee mit den Yachten gekommen, weil es viele Südafrikaner gibt, die nach Europa kommen, um dort Arbeit auf einer Yacht zu finden, z. B. in Frankreich. Davon hatte ich vorher noch nie etwas gehört. Freunde erzählten mir davon und meinten, ich müsse verschiedene Kurse machen, welche relativ kostspielig sind und könne dann nach Frankreich fliegen. Vorher wäre auch noch ein Visum zu beantragen, wenn man keinen europäischen Pass hat. Nicht ganz so einfach. Ich dachte mir trotzdem: Ok. Ich habe immer noch keine Lust zu studieren, weiß immer noch nicht, was ich studieren und später einmal machen will. Hab mich dann informiert, wo die Kurse angeboten werden und ausgerechnet, wieviel Geld ich dafür brauche. Anschließend musste ich meine Familie überzeugen, damit sie mir ein letztes Mal ein bisschen Geld vorstreckt. Mit dem Versprechen, ihnen das Geld zurückzuüberweisen, sobald ich meinen ersten Job habe. Es waren damals ca. 500 oder 600 €, die ich für die Kurse brauchte. Außerdem hab ich ihnen gesagt: Wenn ich innerhalb von zwei Monaten keinen Job finde in Frankreich finde, komme ich nach Deutschland zurück und suche mir dort einen Vollzeitjob, damit ich euch das Geld zurückzahlen kann und fange danach an zu studieren. Meine Familie wollte natürlich sehr gern, dass ich studiere.

Hab dann also die Kurse absolviert, zuerst den STCW-Kurs, da geht es um die Sicherheit an Bord. Zusätzlich noch einen Food-Health-and-Safety-Kurs zur Sicherheit im Umgang mit Lebensmitteln und einen weiteren Kurs, um mich mental speziell auf die Arbeit auf einer Yacht vorzubereiten. Anschließend bin ich für einige Tage nach Deutschland zurückgekehrt und von dort aus direkt nach Antibes in Südfrankreich geflogen, um mir einen Job zu suchen, was im Endeffekt sechs Wochen gedauert hat. Ich hab den Job dann online gefunden. Meine jetzige Chief-Stewardess, meine direkte Chefin also, hatte mehrmals mit mir telefoniert und fand mich sympathisch, wollte mich haben. Sie brauchten spontan jemanden, da es in der Mitte der Saison war und ihre vorhergehende Stewardess gekündigt hatte. Also hat mir der Kapitän mein Flugticket von Frankreich nach Sizilien gebucht und dort bin ich dann der Bootsbesatzung beigetreten. In jener Saison sind wir hauptsächlich um Sizilien und Italien gekreuzt, um die Saison dann in Malta zu beenden. Für den Winter sind wir nach Frankreich zurückgekehrt. Mittlerweile waren wir in Spanien, in sehr vielen Orten in Griechenland, in Kroatien, Montenegro, Albanien …

Seit damals, Juli 2018 also, arbeite ich auf demselben Boot und gehöre zur Crew.  Und natürlich habe ich auch mein Versprechen gehalten und meiner Familie das Geld zurücküberwiesen.

Aber auch privat hast Du Deiner Reiselust weiter gefrönt …

Ja. Nach der Saison habe ich im Winter zwei Monate unbezahlten Urlaub genommen und bin nochmal nach Kapstadt gereist. Dort war ich wirklich schon oft, um Freunde zu besuchen. Kapstadt ist inzwischen ein bisschen wie ein zweites Zuhause für mich. Dann bin ich noch für drei Wochen zum Surfen nach Bali geflogen und will da auch nochmal hin. Dort war alles wieder komplett anders. Bali hat so viele Touristen und kommt einem sehr schnelllebig vor. Ich bin zwar kein Fan von großen Massen an Touristen, aber Bali war einfach auch atemberaubend schön.

Nach einer weiteren Saison auf der Yacht war ich dann für sechs Monate in Costa Rica, in einem kleinen Ort namens Samára,und bin von dort aus ein bisschen durchs Land gereist. Costa Rica stand schon lange auf meiner Liste, weil es die mit Abstand vielfältigste Flora und Fauna hat - einfach Wahnsinn. Es gibt da einfach so viele Spezies, die man nur dort findet und sowieso bin ich ein großer Freund der Tropen, wo du an jedem Tag 25 bis 30 Grad hast. In Costa Rica kannst du durch den Regenwald wandern oder über die superschönen Sandstrände mit ihren Palmen. Oder surfen gehen. Das Land hat unglaublich viele Vegetationszonen. Zum einen diese kleinen Strandorte, die gerade in der Trockenzeit wirklich dürr und staubig werden und dann nur einige Autostunden davon entfernt den üppigsten Regenwald. Es gibt Nebelwälder, ganz viele Vulkane, Wasserfälle oder Wasserlöcher, in die man reinspringen kann. Costa Rica wird einfach nie langweilig und du wirst wahrscheinlich nie alles gesehen haben. Besonders gereizt haben mich auch die exotischen Tiere, die es dort gibt, z. B. die großen Spinnen – Taranteln - und viele verschiedene Schlangen. Ich hatte sogar eine Boa auf meinem Balkon. 

Ja, und im November 2019 war ich noch für einige Wochen in Botswana, wie jedes andere afrikanische Land schon sehr eigen. Diese unendlichen Weiten … Wir haben einen Roadtrip gemacht, eine Safari, gecampt. Das ist eine ganz andere Art von Urlaub jenseits von allem Luxus. Back to the roots - einfach, simpel, minimalistisch. Und hilft dabei, die Prioritäten wieder auf die einfachen Dinge im Leben zu setzen, die auch am meisten an Freude bringen. Ob das nun ein wunderschöner Sonnenuntergang ist oder man am Lagerfeuer sitzt und die Hyänen lachen hört. Grad das südliche Afrika ist eines meiner liebsten Reiseziele und wenn ich könnte, würde ich jetzt sofort wieder dorthin reisen.

Insgesamt muss ich sagen, es wäre für mich schwer, ein Lieblingsland festzulegen, weil jedes Land auf seine ganz eigene Weise perfekt ist, einen mitreißt und umhaut.

Was war dein schönstes bzw. schrecklichstes Erlebnis bisher?

Dazu muss ich sagen, mir ist noch nie etwas Dramatisches oder wirklich Schlimmes passiert. Einmal bin ich mit Ethiopian Airlines von Nizza nach Südafrika über Addis Abbeba geflogen, aber mein Reisegepäck hatte es nicht bis dahin geschafft. Ich hab es dann nach zehn Tagen erhalten, was bei einer vierzehntägigen Reise natürlich nichts mehr bringt. 

Wirklich ratlos war ich einmal ganz am Anfang meiner Reisen, in Australien. Mein Freund und ich hatten uns ein Auto gekauft für wenig Geld. 2000 australische Dollar und das Auto war auch älter als wir beide. Wir hatten es sogar  von Deutschen gekauft, von Sachsen aus Leipzig. Die haben uns aber komplett über den Tisch gezogen – erzählt, das Auto fährt super usw usf. Fuhr am Anfang auch ok. Nach einem Monat haben wir beschlossen, ins Landesinnere zu fahren, was eigentlich ziemlich mutig ist, wenn du Australien nicht kennst. Sobald du die Küstenregion verlässt, ist da nichts mehr, nur die eine Straße ins Outback. Wir waren schon vier Stunden gefahren, also wirklich weit weg von der Küste und da zerfällt das Auto quasi. Der Motor komplett überhitzt, es ist keinen Zentimeter mehr gefahren. Wir mussten uns dann in den nächsten Mini-Ort abschleppen lassen, mit vielleicht 10 Häusern und tatsächlich einem Touristenbüro, warum auch immer es das dort überhaupt gab. Das Abschleppen kostete 100 Dollar, das war für uns viel Geld, und wir wussten nicht, was wir tun sollten, weil wir sowieso schon wenig Geld hatten. Und hatten keine Ahnung, wie wir zurück zur Küste kommen sollen. In diesem Moment ist für uns erstmal eine kleine Welt zusammengebrochen. Wir hatten dann aber Glück. Haben im Touristenbüro unsere Lage geschildert und die hatten so viel Mitleid mit uns – wir waren ja erst 18, gerade erst aus der Schule raus, so zwei Deutsche, die überhaupt nicht wussten, was sie jetzt machen sollen. Die zwei älteren Frauen im Büro waren so lieb und haben dann direkt ihren Boss angerufen, weil er am selben Tag noch in die Küstenstadt fahren wollte und einen Transfer für uns organisiert. Wir durften mitfahren, mussten nichts bezahlen. Diese Frauen haben es sogar geschafft, die Teile unseres Autos zu verkaufen und uns doch tatsächlich noch 500 Dollar in diesem Küstenort vorbeigebracht. Die waren so hilfsbereit! Das war vielleicht mein schlimmstes und schönstes Erlebnis zugleich, weil es auch zeigt, wie hilfsbereit Menschen sein können, obwohl sie dich absolut nicht kennen und auch nichts zurückerwarten.

Wie finanzierst du eigentlich deine Reisen?

Als Besatzungsmitglied einer Yacht kommt man ja kaum dazu, Geld auszugeben. Und wir haben natürlich kaum laufende Kosten. Ich habe keine Wohnung, wohne ja auf der Yacht. Ich hab kein Auto, ich hab keine laufenden Verträge, deshalb kann man seine Kosten sehr gering halten. Verpflegung und Kosmetik, d. h. Shampoo oder Duschbad werden uns ja auch gestellt.

Was, glaubst Du, ist all jenen, die ihr Leben auf Reisen verbringen, gemeinsam? Welche Charaktereigenschaften sollte man dafür mitbringen?

Eine Voraussetzung dafür ist schon mal eine gewisse Risikobereitschaft, weil man ja tatsächlich nie wirklich weiß, was kommt, worauf man sich einlässt. Definitiv würde ich sagen, dass alle Leute, die Langzeitreisen machen, vor allem in Gebiete weit weg von zu Hause, ziemlich offen sein und eine gewisse Toleranz haben müssen gegenüber allem, was anders ist. Sobald du Europa verlässt, sind die Kulturen und Traditionen natürlich sehr anders, ich denke da an Asien, Südamerika, Afrika. Da hast du am Anfang schon einen Kulturschock und musst dich umgewöhnen an ein anderes Klima, an eine andere Sprache, an anderes Essen. Das dauert ja auch alles seine Zeit. Sowohl in Costa Rica als auch in Bali brauchte ich erstmal eine Woche, bis ich mit dem Jetlag klargekommen bin und den Temperaturunterschieden. Auch mit dem Essen. Sowas dauert eine Weile und da muss man tolerant sein und die Bereitschaft haben, seine eigene Komfortzone zu verlassen.

In Deutschland bist du es z. B. gewöhnt, wenn du deinen Personalausweis oder deinen Reisepass verlierst, zur Behörde zu gehen und die erledigen das für dich, du holst das neue Dokument nach ein paar Wochen ab. Alles geregelt. Wenn dir das aber im Ausland passiert, ist es eine ganz andere Geschichte. Ich erinnere mich gerade daran, als ich mein Visum in Südafrika verlängern wollte - in Afrika ist es mit Behörden sowieso so ein Ding. Wenn sie dir helfen wollen, hast du gute Karten, aber es kommt sehr darauf an, wen du da vor dir sitzen hast. Wenn er dir nicht helfen will, hast du ein Problem und es zieht sich und sie stellen sich dann eventuell auch ein bisschen taub. Deshalb würde ich einen Reisepass sehr ungern in Südafrika verlieren wollen, weil: den wiederzubekommen über die verschiedenen Beamten, mit denen man sich auseinandersetzen muss, ist tatsächlich ein bisschen kompliziert. 

Ich glaube, wir vergessen manchmal, wie leicht wir es in Deutschland tatsächlich haben mit Behörden und der Beantragung von Dokumenten. Im Ausland kann das schon komplett anders sein. Mein Visumsantrag hat z. B. zwei Monate gedauert. Natürlich kommt speziell in Südafrika noch die Korruption hinzu. Da musst du eben ein bisschen Geld geben, dann läuft es deutlich schneller. Auf so etwas muss man sich mental auch einstellen. Für mich persönlich ist das kein Problem – so funktioniert das in diesem Land eben. Man muss sich einfach vorher ein bisschen schlau machen.

Nachdem du so viel herumgekommen bist: Wie siehst du Deutschland und die Deutschen heute?

Ich komme schon gern mal nach Deutschland, um Familie und Freunde zu sehen. Aber ich weiß für mich mit 100%iger Wahrscheinlichkeit, ich werde nicht dauerhaft nach Deutschland zurückziehen. Besuche ja, aber dann ist auch wieder gut. Ich hab schon viele Deutsche kennengelernt in Deutschland und im Ausland, die super-offen sind, super-tolerant, totale Abenteurer und auch lieb und hilfsbereit, aber es gibt, denke ich, auch tatsächlich viele in Deutschland, die ein bisschen engstirnig sind und vielleicht nicht so weltoffen. Weltoffenheit kommt wahrscheinlich auch mit dem Reisen.

Wir haben ja einiges, was wir gut können, ob Herstellung von Autos oder Yachten oder anderen Produkten, aber ich denke, gerade das soziale Miteinander ist vielleicht nicht das, worin wir die Besten sind. Wir sind gut, wenn es um Effizienz geht und um Qualität in der Arbeit. Um Konsequenz. Aber das Soziale, die emotionale Basis, fehlt oft.

Was glaubst Du, inwiefern das Reisen dich verändert hat?

Diese Frage kann ich relativ gut beantworten, weil ich es von meiner Familie immer wieder bestätigt bekommen habe: dass ich doch wahnsinnig viel Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit dadurch gewonnen habe, vor allem, nachdem ich begonnen hatte, allein zu verreisen. Zu einem Ort,  wo mich niemand kennt und ich wirklich auf mich allein gestellt war. Da kannst du eben nicht Mama anrufen, weil: Was soll sie machen? Ich bin zwar immer noch ein bisschen nervös, wenn ich irgendwohin fliege - es hält sich immer so die Waage zwischen Nervosität und positiver Aufregung -, weiß aber mittlerweile auch, dass egal was passiert, ob mir nun mein Portemonnaie geklaut wird oder mein Handy, auf dem ja auch alle meine Bankverbindungen und mein Onlinebanking sind oder ob das Auto kaputt geht oder das Gepäck verloren, man in jeder Situation, die einem Stress bereitet, sich immer im Hinterkopf bewahren muss, dass das jetzt nicht das Ende der Welt ist. Man muss darüber nicht ewig lange traurig sein oder sich den Urlaub dadurch verderben lassen. Im Endeffekt muss man sich kurz kümmern, kurz Schadensbegrenzung machen und dann aber wirklich damit abschließen, aufhören, darüber nachzudenken oder zu trauern oder sich selbst leid zu tun. Abschließen und sagen: Ok. Das ist jetzt die Situation und von da muss ich jetzt weitergehen.

Was sind deine Pläne für die Zukunft? Wie und wo möchtest Du künftig leben?

Prinzipiell denke ich, diese Geschichte mit den Yachten werde ich definitiv erstmal weitermachen, solange ich das kann, solange es mir Spaß macht, weil ich da doch noch einiges sehen möchte. Ich möchte noch auf deutlich größeren Yachten arbeiten, gern noch einmal auf einem Boot sein, das in die Karibik fährt oder in den Indischen Ozean oder um Australien herum. Da gibt es noch vieles, was ich gern erleben möchte. Weil man das wahrscheinlich aber nicht machen kann, bis man 50 oder 60 ist, hatte ich mir schon ein paarmal überlegt, dass ich ganz gern irgendwann etwas eigenes haben würde. Ob das nun ein Hostel ist oder ein kleines Cafe oder eine Bar, das man mit ein wenig angespartem Startkapital eröffnet, am besten mit einer Freundin oder einem Bekannten zusammen. Etwas, das man gemeinsam hat und quasi großzieht. Sowas könnte ich mir gut vorstellen. 

Das wäre aber definitiv außerhalb von Europa. Es könnte in einer großen Stadt wie Kapstadt sein, aber auch in einem kleinen Küstenort irgendwo in Costa Rica. Prinzipiell reizen mich eher die Tropen; ich bin nicht so der große Freund von vier Jahreszeiten, mir ist es lieber, wenn ich Trocken- und Regenzeit habe und es ganzjährig 30 Grad sind. Ich werde also die Yachten noch einige Jahre machen und dann in der Richtung Service/Hospitality bleiben. Weil mir das wirklich gut gefällt und ich hier meine Nische gefunden habe. Ich arbeite gern mit anderen Leuten zusammen, ich erlebe gern verschiedene Kulturen, arbeite gern mit verschiedenen Sprachen.

Und 2021? Hast du dafür ganz konkrete Wünsche?

Soviel muss sich bei mir gar nicht ändern. 2020 war zwar jetzt nicht das Bombenjahr, es war ja für viele sehr dramatisch, es ist sehr viel Schlimmes passiert. Ich war hier sicher noch eine der Glücklicheren, hatte wahnsinnig viel Glück, dass ich zurück auf mein Boot und meinen Job behalten konnte. Diesbezüglich muss sich für mein 2021 gar nicht so viel ändern. Klar wäre es toll, wenn man wieder offener und freier und einfacher reisen könnte, aber ich mach die Saison jetzt wieder auf meinem Boot und nach der nächsten Saison, um Oktober/November herum, entscheide ich, ob ich länger bleibe oder sage, ich würde mir gern etwas Neues suchen. Und wenn bis dahin das Reisen wieder möglich ist, würde ich wieder eine längere Reise machen wollen. Konkrete langfristige Pläne mach ich eher selten.

Du bist zwar noch sehr jung, hast aber schon jetzt mehr von der Welt gesehen, als viele in ihrem Leben je sehen werden. Vieles erlebt, viele Erfahrungen gemacht. Was würdest du anderen Menschen für ein glückliches, erfülltes Leben mitgeben wollen?

Dass man seine Wünsche und Träume nicht hintenanstellt und auch nicht verschiebt. Ich hab das ja schon häufig gehört gerade in Deutschland, dass gesagt wird: Ja, jetzt muss ich erstmal noch arbeiten, reisen kann ich dann, wenn ich Rentner bin. Ich muss doch erstmal einzahlen in meine Rentenversicherung, meine Altersvorsorge. Ich kann jetzt nicht einfach umziehen oder auf eine große Reise gehen, weil: Ich hab hier meine Wohnung, meinen Job, mein Auto.

Ich denke, es ist wahnsinnig wichtig, dass man nicht alles verschiebt, weil man im Endeffekt nie weiß, wie sich Sachen entwickeln, wie alt man tatsächlich wird oder wie sich das eigene Leben entwickelt. Ich glaube, dass es wichtig ist, wenn man Ambitionen hat, Wünsche, Ziele, z. B. gern sein eigenes Restaurant eröffnen möchte oder ins Ausland auswandern oder selbst, wenn es nur eine Reise ist, sowas nicht andauernd zu verschieben. Man sollte wirklich sagen: Ok, es wird vielleicht nicht dieses Jahr, aber dann nehme ich es mir fest vor für das darauffolgende Jahr. Und dann auch aktiv Geld ansparen oder die Pläne in diese Richtung anfangen und durchziehen. Einfach, dass man Vorhaben nicht immer wieder verschiebt und Ausreden dafür findet, warum man es nicht machen kann. 

Ein Zitat, das mir gefällt und das ich auch anderen oft sage, ist: Später wird man nicht die Sachen bereuen, die man gemacht hat, sondern nur die, die man nicht gemacht hat.

***

Ein vortrefflicher und weiser Schlusssatz, wie ich finde. Euch wünsche ich, dass Ihr bald wieder reisen könnt, wohin es Euch beliebt und füge noch einige Fotos aus fernen Ländern an:

Kapstadt


Südafrika


Südafrika


Costa Rica


Costa Rica


Botswana


Bali


Spinne am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen: ein Lieblingstier meiner Interviewpartnerin 👀













 


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