Sonntag, 10. Mai 2020

Liebeserklärung an meine Sommerboten

Montagmorgenkaffee auf dem Balkon und plötzlich sehe ich sie hoch oben ihre pfeilschnellen Runden ziehen. Sriiih … sriiiiih … 

Mein Herz hüpft und ich strahle – die ersten Mauersegler sind zurück!




Vor vielen Jahren war‘s, da meine Tochter einen verletzten Mauersegler mit nach Hause brachte. Sie hatte ihn auf dem Heimweg hilflos am Boden liegend gefunden. Da er äußerlich unversehrt schien, tippten wir auf Gehirnerschütterung – er war wohl gegen ein Hindernis geprallt und nun vollkommen desorientiert. Daheim setzten wir ihn in einen mit Heu ausgepolsterten Schuhkarton, stellten ein Näpfchen Trinkwasser hinein und päppelten ihn über mehrere Wochen mit eingeweichtem Weißbrot. Sorgfältig darüber wachend, dass unsere neugierigen Katzen, die ollen Häscher und Jäger, keine Pfote in dieses Zimmer setzen.

Das federleichte Tierchen erholte sich langsam und war überhaupt nicht ängstlich. Jedoch fiel auf, dass es sich am Boden extrem unbeholfen bewegte. (Mauersegler sind für ein Dasein in der Luft geschaffen und ihre Klammerfüße zum Laufen ungeeignet.) Als ich das Gefühl hatte, unser Patient sei wieder ganz und gar hergestellt, setzte ich ihn eines Tages ans offene Fenster und siehe da – mit einem einzigen kühnen Schwung gehörte ihm der Himmel.

Meine zweite Begegnung mit einem Mauersegler ist noch gar nicht allzu lange her. Unsere Wohnungsgenossenschaft – ein großes Danke für den Erhalt natürlicher Lebensräume! – hat nahezu all ihre Häuser mit Nistkästen für Mauersegler (und Fledermäuse) versehen. So auch das meine. Ob sich der winzige Mauersegler nun zu weit aus dem Nest gelehnt hatte oder von seinen Geschwistern geschubst worden war, jedenfalls lag er an einem Tag im Hochsommer in der Wiese vor’m Haus. Glück gehabt, mein Kleiner, dass ich dich zuerst gesichtet habe und nicht ein Vertreter der hier zahlreich beheimateten Katzenbande … 

Ein Telefonat und ich wusste, wo das Vogelbaby gut aufgehoben sein würde: in der Wildvogelauffangstation in Kaditz im Dresdner Norden. Also hab ich’s vorsichtig in ein Kistchen gelegt und bin hingedüst. Und hoffe, der Kleine hat es dank Handaufzucht geschafft und aus ihm ist noch ein kühner Flieger geworden.

Schon immer waren Mauersegler für mich Sinnbild des Sommers, meiner erklärten Lieblingsjahreszeit. Zuverlässige Boten der langen warmen Tage. Und kündigt sich deren Ende an, von einem Tag auf den nächsten plötzlich wieder vom Himmel verschwunden, oft schon Mitte August. Stets weiß ich dann - auch dieser herrliche Sommer wird bald Geschichte sein.

Im Netz habe ich erstaunliche Infos zu meinen Flugakrobaten gefunden:

Mauersegler sind nur in der Luft wirklich in ihrem Element - ungefähr zehn Monate (Ausnahme: die Brutzeit) halten sie sich nahezu ununterbrochen dort auf. Nahrungs- und Wasseraufnahme und selbst die Paarung erfolgen im Flug. Auch zu schlafen vermögen sie im Fliegen, lassen sich dann in hohen Luftschichten im Gleitflug treiben. Bei ihren rasanten Flugmanövern auf der Jagd nach Insekten erreichen sie Geschwindigkeiten bis zu 200 km/h (3. Platz hinter Wanderfalke und Steinadler mit ca. 320 km/h) und steigen bei gutem Wetter in Höhen bis 3000 m auf. 

Lediglich ihre Brut ziehen die Mauersegler „auf festem Boden“ auf. Aus Gräsern, Federn, Papierfetzchen und allem, was sich sonst noch eignet, wird mit Speichel kunstvoll ein Nest geformt und hoch oben unter einen Mauervorsprung geklebt. Sicher hat jeder von Euch schon einmal ein solch bauchiges, halbkugelförmiges Gebilde z. B. unter einem Dachsims entdeckt und vielleicht sogar die kleinen, hungrigen Mauerseglerküken darin, die ihre Hälse recken und lautstark nach der nächsten Mahlzeit rufen. Von ihren Eltern werden sie mit Futterballen gefüttert, die bis zu 300 Insekten enthalten können; je nach Wetter sammelt ein Elternpaar ca. 35 Futterballen täglich.

So erstaunlich wie überlebensnotwendig: Wenn das Wetter im Sommer in eine Kälte- oder Schlechtwetterfront umschlägt, verfallen die Jungen im Nest in eine Art Schlafstarre, die ihre Körperfunktionen auf das Allernotwendigste reduziert. So halten sie bis zu 10 Tage ohne Futter aus, während die Eltern bis zu 800 km (!) in wärmere Gefilde fliegen, um dort mehr Nahrung zu finden. 

Die Winterquartiere der Mauersegler liegen u. a. in Ghana, dem Kongo, der Elfenbeinküste, Südafrika, Tansania. 

Schade, dass sich durch den Einfluss des Menschen auch die Population der Mauersegler in den vergangenen Jahren stark verringert hat: Unter den 50 häufigsten Arten unserer einheimischen Gartenvögel weist ihre Anzahl den mit Abstand größten Rückgang auf. Maßgeblicher Grund: die Sanierung von Gebäuden und damit einhergehend Beseitigung ihrer Nistplätze bzw. -möglichkeiten. Allein in meinem direkten Wohnumfeld sind durch Sanierung von Altbauten zahlreiche Nester bzw. potentielle Nistmöglichkeiten verschwunden. Umso schätzenswerter die Initiative meiner Wohnungsgenossenschaft, ihren Gebäudebestand flächendeckend mit Nistkästen auszustatten. Ich wünschte, so etwas würde Schule machen. 

Am häufigsten ist der Mauersegler - ursprünglich in Felsen und Bäumen brütend, inzwischen jedoch "Urbanisationsnachfolger" - in Großstädten zu finden. Neben Städten wie Berlin, Köln, Frankfurt/Main und Leipzig gehört er auch in meiner Heimatstadt Dresden immerhin noch zu den fünf am häufigsten vertretenen Vögeln.  

Grund zur Freude und - möge es so bleiben. Ich würde meine Sommerboten und ihre faszinierenden Pirouetten am Himmel sonst sehr vermissen. 

PS. Mauersegler gehören zur Familie der Segler und sind nicht mit Schwalben (= Sperlingsvögel) verwandt, sondern - man höre und staune: mit Kolibris! Von den Schwalben, mit denen sie oft gemeinsam jagen, unterscheiden sie sich durch ihren zwar ebenfalls gegabelten, aber viel kürzeren Schwanz und ihre langen sichelförmigen Flügel. Außerdem durch ihre schrillen Rufe, die sie besonders dann hören lassen, wenn im Schwarm um die Häuser kreisend. 

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