Dienstag, 5. April 2022

Abendgestaltung mal anders

Ich laufe zur Tanke – meine Zigaretten sind alle. (Ja, liebe Gesundheitsapostel – Ihr wisst doch, die Summe der Laster bleibt immer gleich. ;) ) Auf dem Weg dahin treffe ich mehrere Grüppchen Mädels und Jungs, die mir zusammenzugehören scheinen und aufgeregt diskutieren. In einigen Hosentaschen Softdrinks. Lauten Rap am Start. Sie sind höchstens 12, vielleicht 13. Auf dem Rückweg überquere ich die hübsche kleine Sandsteinbrücke in unserer Siedlung, die über das Bächlein, den Landgraben führt. Und denke, ich fall nach hinten um… 

Rings um die Brücke und darunter eine riesige Müllhalde. Als hätte irgendwer eine Mülltonne ausgeleert. Unzählige große Pappen, Papier, Flaschen über die Böschung verteilt, Flaschen mitten ins Bachbett gesteckt. Scherben, wohin man blickt. Der Abfall bildet einen Damm, an dem sich das Wasser staut. Mittendrin ein Entenpärchen.

Auf der Brücke steht ein Sanka, ein Notarztwagen. Als ich noch versuche, meiner Fassungslosigkeit und meinem Zorn über dieses heillos vermüllte Fleckchen Erde Herr zu werden, kommt ein junger Mann vorbei. Erzählt mir, er hätte den Notarzt gerufen, weil hier vor einer Stunde eine junge Frau kollabiert wäre. Alkohol. Just in diesem Moment steigt ein Rettungssanitäter aus dem Sanka und teilt ihm mit, die Frau sei inzwischen stabil. Ein Opfer der "Brücken-Party". Die heute nicht zum ersten Mal stattfand. 

Der Sanka fährt los, ich düse nach Hause. Randvoll mit Zorn. Was tun? Was tun! Schnappe mir daheim Müllbeutel und eine Gartenharke und laufe zur Brücke zurück. Angesichts der Müllberge kurz ein ohnmächtiges Gefühl: Das schaffst Du nie. Scheißegal – anfangen!

Ich sammle Scherben ein (muss morgen nochmal hin, kehren!), durchweichte Pappen, Papier, Fastfoodmüll, Korken, Flaschen. Harke Pappen und Flaschen aus der Mitte des Wasserlaufs an die Seiten, darauf achtend, dass ich mir keine nassen Füße hole – die Böschung ist glitschig. Und fluche vor mich hin. Mensch, unsere Siedlung war in all dem Chaos outside immer so’n heiles Plätzchen. Grün, sauber, ruhig. Und jetzt? Nicht genug, dass die nigelnagelneue Sandsteinbrücke, vor zwei Jahren in monatelanger sorgfältiger Arbeit errichtet von Männern, die ihr Handwerk verstehen, inzwischen mit hässlichsten Graffitis verunziert wurde – seit Neuestem also auch der Bach Tummelplatz von Umweltschweinen. (Sorry für die Wortwahl, aber ich schäume immer noch.) Vielleicht: In einem Land, in einer Welt, jenseits von heil, wird es wohl künftig keine Refugien mehr geben. Nicht jedenfalls im Weichbild einer Stadt.

Während ich räume und innerlich wüte, taucht oben an der Brücke ein Mann auf, mehrere Fragezeichen im Gesicht. Ich erkläre ihm mein Tun und oh Wunder!, er klinkt sich sofort ein. Schnappt sich die Harke und beräumt die Wasserfläche. Rutscht dabei leider von der Böschung ab, um bis zu den Knien im Bach zu stehen. Macht ihm aber nüscht. Und so sind wir eine  Dreiviertelstunde bis zum Dunkelwerden gemeinsam damit beschäftigt, so etwas wie den Ursprungszustand des eigentlich idyllischen Fleckchens wiederherzustellen. Nebenbei erfahre ich, dass er aus Süddeutschland kommt, jedoch seit Jahren in Dresden wohnt. Und bereits vorhatte, den Bachlauf auch an anderen Stellen zu säubern, weil ihn der Unrat stört. An dieser Stelle ein riesiges Danke an ihn, auch wenn er’s nicht lesen wird. Danke dafür, dass es solche Menschen gibt. Danke nicht nur für die tatkräftige, sondern auch für die moralische Unterstützung. Und fürs Luftmachendürfen. Vielleicht sehen wir uns am Sonnabend beim Elbwiesensäubern am Rosengarten wieder, bin vormittags dort mit meinem Basis-Team verabredet.

Als die Dunkelheit anbricht und Petrus Regen schickt, schaut‘s rund um die Brücke zumindest oberflächlich wieder aus wie Natur. Und der Bach fließt wieder.

Minus und Plus also an diesem Abend. Großer Zorn, großes Unverständnis über die Rücksichtslosigkeit der jungen Leute und das unfassbare Vermüllen der Natur. (Ich werde künftig abends an der Brücke vorbeischauen, das Gespräch suchen. Vielleicht hat die Corona-Zeit ihnen den Sender ‘rausgehauen. Verwunderlich wär’s nicht. However - ihre Wortmeldung interessiert mich.) Große Dankbarkeit, dass sich ein völlig Fremder spontan einklinkte. Weil – appetitlich war das keineswegs, nix für Hygienefanatiker. Sechs große Müllsäcke voller durchweichter Pappen, Flaschen und diversem anderen Abfall haben wir dem Container überantwortet.

Immerhin: So lange es noch möglich ist, dass sich solches ereignet, ist die Welt, sind wir vielleicht noch nicht verloren.

Was ich mir dringend wünsche: Weniger Gleichgültigkeit, sprich: „Scheiß-egal-geht-mich-nichts-an“-Attitüde. (Die Müllhalde an der Brücke entstand nicht an einem Abend und allabendlich spazieren Dutzende von Hundebesitzern dort entlang. Davon abgesehen, dass sich das Ganze bei Weitem nicht lautlos abgespielt hat - die laute Rapmusik nahebei höre ich seit zwei Tagen.) Dafür: mehr Verantwortungsbewusstsein, Gemeinsinn, gerade außerhalb der eigenen vier Wände. Früher nannte man das soziale Kontrolle. Von der letztlich jeder profitiert, es sei denn, er bevorzugt Chaos und Dreck und Verwahrlosung, die auch vor dem eigenen Umfeld nicht halt machen.

 

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